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berliner szenenRussisch lernen in Weißensee

Ich bin zu einer Lesung in eine Bibliothek nach Weißensee eingeladen und komme viel zu früh. Mein voriger Termin in Mitte endete früher, und da es sich nicht lohnte, noch mal quer durch die Stadt nach Hause zu fahren, dachte ich, gehe ich einfach mal in Weißensee spazieren. Nachdem ich in der Kälte durch die Gegend gelaufen bin, betrete ich einen Supermarkt, um weiter Zeit zu gewinnen. Ich stehe lange vor dem Regal mit den Getränken, danach vor den Keksen und den Chips. Die Zeit vergeht aber trotzdem kaum. An der Kasse lege ich meine Apfelschorle aufs Band, hinter einem Einkauf aus ein paar Dosen Bier und einer Flasche Wodka von zwei Männern mit Schieberkappen und roten Gesichtern. Die beiden unterhalten sich auf Russisch.

Die Kassiererin hat ein rundliches Gesicht und braune Haare mit pinken Strähnen. Sie lächelt verschmitzt, als sie die beiden hört, dann fragt sie: „Brauchen Sie ’ne Tüte?“ Der eine Mann macht ein bedauerndes Gesicht. Die Kassiererin wiederholt die Frage auf Russisch, die beiden Männer freuen sich, sie lächeln und ein kleiner Dialog auf Russisch beginnt, der ein bisschen nach Flirt aussieht. Die Frau strahlt, die Männer freuen sich und richten sich ein bisschen auf. Am Ende verstehe ich nur Spasiba. Als ich an der Reihe bin, sagt die Kassiererin: „Na da ham sich meine Russischkenntnisse aus der Schule wenigstens mal bezahlt jemacht.“

„Hatte leider kein Russisch“, sage ich. Sie guckt mich an: „Westen oder zu jung?“ – „Westen“, sage ich. „Macht ja nüscht“, findet sie. „Kann auch kaum mehr was.“ Klingt tröstend. Als ich bezahlt habe, sagt sie: „Poka. Dit heißt Tschüß.“ Ich wiederhole: „Poka.“ Sie sagt: „Dit wird.“

Draußen trinken die Männer Bier. Ich murmele „Poka“, als ich vorbeigehe, aber sie hören mich nicht.

Isobel Markus

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