piwik no script img

berliner szenenHunger auf Körner und Torte

Die neue Freundin eines Freundes hat mich eingeladen. Oberste Etage, Tempelhof, Blick auf Gartenparzellen, in denen jeder so seins macht: Da lehnen Säcke wintermüd an einer Plastikliege, dort führt eine unentschuldbare Schneckenkornspur um die Stummelstaude im Plastiktopf, zu meiner Verblüffung auch von oben noch zu erkennen. Daneben Gießkannen, schlaffe Planschbecken. Viel Plastik, Kies, wenig Grün, befinde ich. Unerquicklich.

Oben fühlt es sich lässig und gut an, schmaler Balkon über die gesamte Wohnungsbreite, statt Fenstern unendliche Verglasung gen Süden. Dahinter ein tiefer Sims voller Grünpflanzen. Ein Ensemble des Aufbauprogramms der 50er Jahre. So mieterfreundlich baute man in der Stadt nicht immer. Am Balkon, auf den ich trete, baumelt ein stark frequentiertes Futterhäuschen. Fast leer, typisch Berliner Federvieh, scherze ich. Blau- und Kohlmeisen, sagt der Freund, Haubenmeisen, sogar ein Specht. Und eine Klopfmeise, fügt die neue Flamme an, irgendwie wichtigtuerisch. Klopfmeise, wiederhole ich leise, wieder zurück in der Wohnung. Zoologischer Humbug. Ich sehe mich drinnen um. Anstrengend hier, find ich urplötzlich. Und entdecke – oder imaginiere – einen Klopfsauger im Eck. Es gibt dann Kaffee und Schwarzwälder Klopf-, pardon, Kirschtorte; sie betonen, dass das Wohnen hier pures Glück sei, Ruhe, Sicherheit, Idyll.

Kann ich gleich zwei …?, fragen ich mit schlagartigem Süßhunger, und als ich den Teller dazu mechanisch in die Luft strecke, höre ich sanftes Prasseln an den Scheiben. Graupel, heute? Der Freund schüttelt den Kopf, greift zum Vogelfutter: Nee, Körner sind alle. Mein Blick fällt auf eine winzige Blaumeise mit Sturmfrisur, die vorwitzig gegen die Scheibe pickt. Sieh an. Da lehn ich mich zurück und kriege mich wieder ein.

Felix Primus

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen