berliner szenen: Im Taxi notfalls auch zu Gott
Der Schnee friert an den Asphalt, hinter uns wummert der Bass aus einem Club, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Nach meiner tausendsten Zigarette an diesem Abend kommt endlich das Taxi.
Wir stapeln uns in das Auto, meine Begleitung sagt, wohin es geht, ich habe es vergessen. Der Taxifahrer begrüßt uns freundlich und eröffnet direkt das Gespräch: „Wisst ihr, was mir gerade passiert ist?“
Mit ist gar nicht nach Reden zumute, aber der Taxifahrer hat offensichtlich Bedarf: „Ich komme gerade von einer Frau, die ich mitgenommen habe. Es ging ihr gar nicht gut, sie hatte irgendwas mit der Psyche, eine Art Zusammenbruch. Ich habe sie nach Hause gefahren und noch eine Stunde mit ihr vor ihrer Haustür geredet und sie beruhigt, sie war ganz außer sich.“
Ich blinzele, der Taxifahrer hat meine Aufmerksamkeit. „Ich habe ihr dann von Gott und meinem Glauben erzählt und das hat ihr wirklich geholfen“, fährt er fort.
Meine Begleitung verzieht das Gesicht, er hasst Religion, ist aber Schwabe und sehr höflich.
Auf meine Frage, was die Frau denn genau hatte, weiß der Taxifahrer leider keine Antwort. „Der Glaube an Gott gibt mir so viel Kraft, davon habe ich ihr erzählt. Sie hat danach gesagt, dass sie die Welt jetzt mit ganz anderen Augen sieht“, erzählt er stattdessen aufgeregt. Bei einer labilen Psyche kann religiöser Eifer auch nach hinten losgehen, denke ich mir, aber ich überlasse meiner Begleitung weiterhin das Reden. Nach zwanzig Minuten Fahrt sind wir endlich da und krabbeln aus dem Taxi, langsam und bedächtig. „Ich wünsche euch nur das Beste. Auch ihr findet noch den Weg zu Gott“, ruft der Taxifahrer uns noch hinterher. „Danke, danke, aber Sie haben uns schon wirklich gut den Weg nach Hause gezeigt“, sagen wir und laufen in die Nacht hinein.
Julia Tautz
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