berliner szenen: Wir können uns alle entspannen
Langsam füllt sich die S-Bahn wieder nach den leeren Feiertagen in der Stadt. Meine Freundin W. findet diese Zeit im Jahr super: „Da sind alle bei ihren Eltern in Hintertupfingen und man hat die Stadt für sich. Keine ewigen Schlangen, überall Sitzplätze in der U-Bahn und leere Straßen zum Fahrradfahren.“ Ich lächle wegen Hintertupfingen. Bei uns zu Hause hieß solch ein fiktiver Ort früher immer „jwd“ für janz weit draußen oder auch „hinter Buxtehude“. Als ich viel später von der realen Existenz Buxtehudes erfuhr, fragte ich mich, wie die Buxtehuder es finden, wenn sie immer jwd verortet werden.
Jetzt findet sich kaum ein Platz in der S-Bahn. Ich stehe an der Tür und beobachte eine Frau, die sich zwischen einen Mann und eine andere Frau in den Dreiersitz klemmt. „Ach, Entschuldigung, dass ich mich hier so reinquetsche“, sagt sie. „Mein Hintern ist wohl gewachsen.“
„Macht nüscht, ist schön warm“, meint der Mann wie aus der Pistole geschossen. Er hat einen imposanten Bauch und hält ein winziges Buch. Die beiden Frauen lachen meckernd. Die Frau rechts hat ein kleines Gesicht und hält ihre Handtasche auf dem Schoß. Die Frau mittig hat ihren Mund rot angemalt, einen Schal wie eine Stola um sich gelegt und an jedem Finger mehrere goldene Ringe. „Ich sag Ihnen, diese ganzen Leckereien“, sagt die Extrovertierte. „Aber große Hintern sind ja jetzt modern, nicht?“
Die Frau rechts nickt: „Ja, das hat sich wirklich geändert. Wir können uns alle entspannen.“ Der Mann guckt kurz herüber, dann sieht er wieder in sein Buch. Die Frau in der Mitte sagt mit einem vorwitzigen Frettchengesicht zu ihm: „Bäuche sind auch modern.“
„Dann bin ick bald Filmstar, wa?“, meint der Mann.
Alle drei lachen, als wären sie allein unter Freund*innen. Und ich bin froh, dass Berlin wieder voll ist.
Isobel Markus
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