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berliner szenenEiner wartet schon 14 Stunden

Heute ist der 18. Dezember. Ich bin in der Notaufnahme im Universitätskrankenhaus Schleswig-Holstein in Lübeck, einer der größten Kliniken Europas. Es ist halb eins. Um vier waren wir hier. Als ich mittags zur Bestrahlung gegangen war, hatte ich kaum noch gehen können, das linke Bein war Schrott. Und dann noch die anderen Beschwerden. Die hausärztliche Anlaufpraxis im Krankenhaus hatte uns in die Notaufnahme geschickt. Die Eingangsuntersuchungen waren schnell gegangen. Seitdem warte ich.

Es ist ruhig. Der Fernseher zeigt an, dass die Kapazitäten der Notaufnahme im roten Bereich sind; die Wartenden sind angenehm unaufgeregt. Eine Schicksalsgemeinschaft. Eine Steckdose zum Aufladen. Ich habe noch 12 Prozent, wie viel hast du? – 18 Prozent. Dann bist du dran.

Irgendwann frag ich, ob ich vergessen wurde. Ich bin noch in Arbeit. Das wird eine kurze Nacht. Der nette Syrer in hellblauer Jeans und T-Shirt ist mit seiner kranken Mutter hier. Er hatte mir 2 Euro gegeben, weil der Automat keine Scheine annimmt. Sie spielen Schach mit dem Handy. Einer ist nun schon 14 Stunden hier. Er trägt es mit Fassung. Ich gehe raus, frage einen Raucher, ob ich ihm eine Zigarette abkaufen kann. Er will kein Geld und gibt mir eine. In der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses wird mehr gemeckert.

Eine Patientin legt sich hin zum Schlafen über drei Stühle.

Der Fernseher zeigt seit Stunden die gleiche Meldung aus den Lübecker Nachrichten an: „Neues Sportstadion in Henstedt-Ulzburg geplant … mit Tribüne, Spielertunnel und allem, was das Kickerherz begehrt. Das könnte in Henstedt-Ulzburg bald realisiert werden. Es gibt den Wunsch der Politik. Zurzeit läuft eine Analyse mit Sportvereinen.“ Als Foto nasses Brachland mit Einbahnstraßenschild.

Detlef Kuhlbrodt

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