berliner szenen: Völlig überflutet von Reizen
Drei Wochen lang war ich in einer winzigen Stadt in Thüringen, in der es außer Wald und Fluss wenig Außenreize gab. Als ich in Berlin eintreffe, fühle ich mich schon nach wenigen Minuten reizüberflutet. Der Hauptbahnhof mit seinen vielen Menschen, sich überlagernden Geräuschen und Gerüchen wirkt nach der Auszeit in der Natur wie ein überladenes Wimmelbild mit Audio- und Geruchsfunktion. Ich komme erst an, als ich meine Tochter in die Arme schließe. Die aber muss gleich weiter zum Sport. Im Bus sitzt ein Mann vor uns, der stark hustet und nach jedem Hustenanfall ausspuckt. Zu seinen Füßen hat er eine Tüte, aus der ein Plasmabildschirm ragt. Als wir uns unauffällig umsetzen wollen, steht der Spucker auf. Wir bleiben erst mal sitzen. Der Bus hält. Der Schubser bleibt in der geöffneten Tür stehen. Ein bullig aussehender Mann mit Glatze steigt ein. Der Spucker stiert den Glatzkopf an und stubst ihn dann ohne vorherige Warnung. Der Glatzkopf brüllt: „Willst du Stress, oder was?“, und schubst den Spucker mit voller Kraft. Der fliegt mitsamt seinem Plasmascreen aus der geöffneten Tür des Busses und kommt rücklings auf dem Asphalt auf. Ich halte den Atem an. Der Busfahrer schließt die Türen, fährt aber nicht los. Der Spucker berappelt sich, steht auf, tritt gegen die mittlere Bustür und spuckt ausladend. Sein Schleim läuft langsam die Scheibe runter. Die Menschen im Bus werden unruhig. Ein Mann ruft: „Wann fahren wir endlich weiter?“ Der Busfahrer erklärt, er sei angehalten worden, auf die Polizei zu warten. Als die eintrifft, versucht der Spucker, über die Straße zu rennen. Die Polizisten halten ihn auf dem Mittelstreifen auf. Der Bus fährt weiter. Der Glatzkopf schimpft: „Was für ein Penner!“ Meine Tochter fragt: „Was war das?“ Ich schüttele den Kopf: „Frag mich bitte nicht.“
Eva-Lena Lörzer
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