berliner szenen: Showdown morgens im Park
Widerwillig bin ich extra früh für die Yogastunde aufgestanden, aber schon nach den ersten Schritten muss ich zugeben, dass der Fußweg doch ein Geschenk ist. Die ruhige Morgenstimmung ist noch von Geschehnissen und Tagesschicksalen ungestört, und mein Arbeitstag liegt gefühlt noch in weiter Ferne. Der Weg durch den noch grünen Park unter dem friedlichen Schatten der Platanen lässt mein Herz singen. Unbekümmert schaue ich mich um und erblicke aus etwa zwanzig Metern Entfernung eine Frau, die auf mich zumarschiert. Noch ambivalent, aber vielleicht einen Tick fasziniert, nehme ich ihre feurige Intensität wahr. In meinem Hinterkopf macht sich langsam der Gedanke breit, dass eine von uns bald ausweichen müsste. Je näher sie mir kommt, desto schärfer sehe ich ihren Gesichtsausdruck – der eines Zeus-würdigen Zorns. Und diese Wut scheint auf mich gerichtet zu sein, denn während ich sie neugierig anschaue, durchdringt sie mich vollkommen mit blitzendem Blick.
Ich frage mich, was ich ihr getan habe, und bemerke, dass ich auf der rechten Seite des Weges laufe, dass sie also ausweichen müsste. Los geht’s, denke ich mir. Die neugewonnene Gelassenheit des frühen Morgens schon verflogen, jetzt treibt mich der Ehrgeiz an. Immer näher kommt sie und noch intensiver wird ihr Blick. In wenigen Sekunden werden wir aufeinander prallen und ich will sie nicht siegen lassen.
Dann aber stelle ich mir vor, dass wir tatsächlich zusammenstoßen. Ich traue ihr eine gewaltvolle Auseinandersetzung zu. Das möchte ich nicht, ich will diesen Konflikt nicht. Ich weiche nach rechts in die Wiese aus, und es fällt mir ein Stein vom Herzen. Meine wiedergewonnene Ruhe ist aber nur von kurzer Dauer. Denn sie spuckt mir praktisch ins Ohr: „Ja, Genau. Lauf ins Gras, Bitch.“ Nina Kashi Street
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