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berliner szenenNüsse nach der „Abend­schau“

Wie viel Zeit unseres Lebens verbringen wir im Supermarkt? Tage? Monate? Jahre? Ich hoffe nicht Letzteres. Ich könnte Tante Google fragen, dann würde ich es wissen. Wahrscheinlich auf die Sekunde genau. Aber ich kann mich beherrschen. Seit fünfzehn Minuten laufe ich durch den Kaufland in den Neukölln Arcaden und suche Walnüsse. Ich vertrage keine Walnüsse. Es juckt im Mund und in den Ohren, wenn ich sie esse. Meine Freundin meint, ich sei allergisch. Meine Freundin liebt Walnüsse. Jeden Morgen zum Frühstück streut sie sich Walnüsse auf ihr Müsli. Nicht wenige. Manchmal entsteht ein Walnusshügel auf ihrem Müsli. Fehlen selbige zum Frühstück, ist das Gejammer groß. Um dem vorzubeugen, habe ich mich freiwillig auf die Suche gemacht.

Sie sei in drei Supermärkten gewesen, meinte sie, als sie kurz nach der „Abendschau“ abgekämpft nach Hause kam. Nirgendwo hätten sich Walnüsse finden lassen. Eine Katastrophe, sagte sie.

Auch im Kaufland ist die Lage prekär. Ich war schon überall, sogar in der Wurstabteilung. Ein Mann kommt mir entgegen. Beinahe wären wir zusammengestoßen. Ich habe ihn bereits vor fünf Minuten bei den Softgetränken und vor zehn Minuten bei den Tütensuppen gesehen. Ich frage ihn nach den Walnüssen. Glücklich, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, erklärt er mir, wo diese sich versteckt haben. Ob ich wisse, wo er eine Knoblauchpresse finden könne?, fragt er mich dann. Ich erwidere seine Freundlichkeit und gebe ihm meine. Auf unerklärliche Weise muss dieses Spitzensonderangebot in meinem Einkaufswagen gelandet sein. Bestimmt wird es mir gelingen, die Knoblauchpresse wiederzufinden. Wenn ich erst die Walnüsse in Händen halte, sollte meinem Konsumglück nichts mehr im Wege stehen.Henning Brüns

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