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berliner szenenNackt tanzen am Mittwoch

Donnerstagabend auf dem U-Bahnhof Yorckstraße. Ein Mann stellt sich neben mich. Er trägt eine Basecap, unter der dunkle Locken hervorquellen, und erzählt in einer Sprachnachricht über den Verlauf seiner Woche. Die U-Bahn hat vier Minuten Verspätung und meine Kopfhörer haben einen Wackelkontakt, sodass ich sie entnervt abnehme und ihm zuhöre. Montag geht es vornehmlich um eine Serie, die ich nicht kenne, um Nudeln, die seine Freundin immer macht. Ich gähne und bin froh, dass andere Menschen auch so öde Tage haben wie ich manchmal. Der Mann erzählt weiter über den Hund der Nachbarn, der etwas mit dem Darm hat und daher auf die Treppe im Hausflur macht. Schon interessanter, denke ich noch, aber dann kommt der Mittwoch.

„Ja, und Mittwoch habe ich ja den Männerkurs gemacht. Also, das war zuerst schon gewöhnungsbedürftig. So dreißig Männer nackt im Raum, dann sollten wir herumgehen und uns alle umarmen und vielleicht massieren, um ein besseres Körpergefühl zu bekommen. Na ja, da umarmste so fremde Kerle und denkst: Bitte stoß nicht mit deinem Penis an meinen.“ Er lacht laut. Eine Frau auf der anderen Seite und ich sehen uns an und lachen auch. Der Mann bekommt es gar nicht mit. „Am Ende haben wir alle nackt getanzt, das tat total gut. Also danke für den Kurs. Du hattest recht.“ Die U-Bahn fährt ein und der Mann ruft sehr laut in sein Handy. „Muss jetzt los, noch ’nen schönen Abend, Mutti.“ Die Frau neben ihm kichert und versteckt das Gesicht hinter ihrem Halstuch.

In der U-Bahn überlege ich, ob seine Freundin und seine Mutter vielleicht gemeinsam die Idee zu dem Seminar, und warum sie meinten, dass es ihm guttun würde. Als ich es kurz darauf einer Freundin erzähle, sagt sie schulterzuckend: „Na, wahrscheinlich tanzt er einfach schlecht.“

Isobel Markus

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