berliner szenen: Eine neue Praxiserfahrung
Mittwochfrüh. Sehr früh. Man weiß nicht so recht, ob die Sonne überhaupt schon aufgegangen ist hinter den dichten grauen Regenwolken. Ich vergrabe mein Kinn tief im Schal, ducke mich unter meinen Schirm, verliere hier und da ein wenig Zeit, weil ich mich im Betrachten der Pfützen verliere. In den bunten Lichtern, den gespiegelten Straßenzügen und der Vorstellung, dass die Bäume in die Tiefe des Gehsteigs wachsen. Meine Art von Achtsamkeitsübung. Regenrausch.
Ich löse meinen Blick, dann laufe ich zügig zu der neuen Arztpraxis, in der ich heute einen Termin für einen Check-up habe. Schon länger suche ich eine neue hausärztliche Heimat, seit meine alte Lieblingsärztin in den Ruhestand gegangen ist, die Suche gestaltet sich schwieriger als erwartet, heute also der nächste Versuch hier in der Filandastraße.
Am Hauseingang betätige ich den Türöffner, die Tür zur Praxis ist nur angelehnt, leise betrete ich den Flur und verstaue Regenschirm und Jacke an der noch leeren Garderobe. Offensichtlich bin ich die erste Patientin. Im Empfangszimmer kann ich die Arzthelferinnen miteinander reden hören. „Guck mal hier. Die hat auch nicht überlebt“,sagt die eine gerade seufzend. „In ihrem Untersuchungszimmer?“, erwidert die andere. „Da hat doch noch nie eine überlebt!“
Ich schlucke, dann trete ich ein. „Äh, guten Morgen“, sage ich etwas verhalten und es klingt wohl eher wie eine Frage als ein Gruß. Die beiden starren mich an. Ich starre sie an. Keine sagt was.
„Es ging um Zimmerpflanzen, ehrlich“, bricht die eine dann das Schweigen und deutet auf die vertrockneten Reste einer Zimmerorchidee. „Mit Menschen kann sie besser als mit Pflanzen“, ergänzt die andere schnell.
Wieder Schweigen – dann fangen wir alle drei gleichzeitig an zu lachen. Na, das fängt ja gut an. Susanne M. Riedel
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