berliner szenen: Akzentfrei auf Mandinka
Öfters versuchte ich dieser Tage, taz-Verkäufer Nicholas zu erreichen, doch er ging nicht ans Telefon. Seit gestern weiß ich, warum. Er ist gestorben. Gern wäre er zu Lebzeiten in dieser Kolumne aufgetaucht, die er austrug. Hiermit löse ich mein Versprechen ein, leider postum. Einmal traf ich Nicholas in einer Bar im Gräfekiez, da wollte ich ihm ein druckfrisches Exemplar abnehmen, hatte aber kein Bargeld. „Kein Problem“, meinte Nicholas, „kannst mir auch was von dem geben, das du da gerade rauchst.“ Ein süßliches Wölkchen hatte seine feine Nase stimuliert.
Auch damit konnte ich nicht dienen, wohl aber mein gambischer Begleiter S. Der Rastafreund suchte in den Taschen seiner weißen Fußballhose, bröselte mir ein Mini-Piece von seinem Marokkaner ab – und unser Geschäft lief.
„Dein Freund?“, fragte Nicholas. „Yes.“ Flugs spricht Nicholas ihn auf Mandinka an. S. ist perplex. Er fällt beinah vom Barhocker, so baff ist er: Ein blonder Deutscher spricht fließend und akzentfrei seine Sprache.
Nicholas lässt jetzt sein Business Business sein, dreht einen Joint, und die beiden reden eine gute halbe Stunde in jenem westafrikanischen Mandinka, das in Gambia, Mali, Senegal und Guinea-Bissau gesprochen wird. Auch mit seiner Ortskenntnis verblüfft Nicholas meinen Freund. „Er kennt entlegene Dörfer im Land und Stadtviertel von Banjul, von denen kaum ein Einheimischer weiß“, schwärmt S., der Koch ist, noch heute von jener Begegnung.
Gemeinsam amüsierten wir drei uns an diesem Abend über die Wolfgang-Neuss-Szene, die ich überlieferte: Als damals der Rauch von Neuss’ Leichnam aus dem Schornstein des Wilmersdorfer Krematoriums aufstieg, meinte Tornado-Günter: „Schaut mal, er raucht immer noch!“
Guido Schirmeyer
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