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berliner szenenMurmler im Bergmann­kiez

Polizeisirenen im Sekundentakt, grelle LEDs, Gehupe, Geschubse, Geschimpfe, gestresste Gesichter, alle on the run. Stadtgetöse macht viele krank. Kaum ein Gang nach draußen, ohne dass mir ruhelose Geister über den Weg laufen, die mit ihrer Psyche kämpfen. Manche pflegen ihre Ticks. Manchen gebe ich Namen. Tütenmutti, Barfüßler, Nerventyp. Neuzugang im Bergmannkiez ist der Murmler. Ein junger Mann, oder ist er schon vierzig, schlurft in ausgelatschten Sneakern, Stoffhose und abgeschabtem Sommermantel durch Pfützen. Spuckt manisch Worthülsen im Wiederholungsmodus. Murmelt unentwegt. Ein leiser Wortdurchfall. Vor dem Oxfam-Schaufenster bleibt er stehen. Scheint mit einer Weinkaraffe in der Auslage zu reden. Ich stelle mich neben ihn, um seinen Wortzauber aufzuschnappen, der ging in etwa so: „Der Schutz Ihrer Privatsphäre ist uns sehr wichtig. An Stellschrauben drehen. Falsche Signale senden. Rote Linien überschreiten. Stellschrauben! Die Menschen da draußen abholen! Spannender Aspekt. Unfassbar nachhaltig. Unfassbar! Wir verurteilen das aufs Schärfste! Panzer auf dem Schirm. Zielgerichtet. Systemisch. Strukturell. Wertschätzen! Gamechanger. Genau. Augenscheinlich hetero. Patriarchale Machtstrukturen. Strukturelle Gewalt. Aufs Schärfste verurteilen. Rote Linien überschritten. Narrative, Narrative. Das will ich mal deutlich machen. Geld in die Hand nehmen. Gerne. Da bin ich jetzt raus. Sag ich jetzt mal. Sehr emotional. Große Stellschraube. Sag ich jetzt mal. Genau. Ganz schön angefasst. Große Baustelle. Kein Ponyhof. Am Ende des Tages. Alter, ey, das ist jetzt sehr emotional! Emotionen. Sag ich jetzt mal. Am Ende des Tages. Am Ende des Tages. Die Stopptaste drücken.“

Und weiter wandelt die Phrasendreschmaschine, perpetuiert seine Logorrhoe.

Guido Schirmeyer

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