berliner szenen: Die pure Lust am Spiel
Meine Chorsister Doris schleppt mich am Samstagabend nach Marzahn zur Aufführung einer Privatoper. Andreas, einer unserer Tenöre, singt dort. Gespielt wird Robert Schumanns einzige, wenig bekannte romantische Oper „Genoveva“. Der Ort: das ehemaligen Kesselhaus des Unfallkrankenhauses. Klingt ungewöhnlich, macht aber neugierig.
Das Kesselhaus im weitläufigen Park des Krankenhauses ist ausverkauft. Die Stühle haben die Sänger und Musiker selber mitgebracht. Die Privatoper Berlin gestaltet ihre Konzepte aus eigener Tasche, eigenem Engagement. Das Bühnenbild im Kesselhaus – ein braunes Sofa – lässt Raum für Fantasie. Auch die Garderobe ist äußerst bescheiden. Pfalzgraf Siegfried trägt zum schwarzen Sakko hautenge Sporthosen mit Silberstreifen, seine Frau, die heldenhafte Genoveva, im blutroten Kleid signalisiert Drama. Und Siegfrieds Gegenspieler Golo, ein begnadeter Tenor, scheint mit seinem Tirolerhut etwas aus der Zeit gefallen. Das Volk, der Chor, wird zum unerbittlichen Richter. Verängstigt folgen ihm die Kinder in der ersten Reihe. Doch die Musik Schumanns beflügelt. Das Spiel des Orchesters, der Darsteller und der Chor begeistern mit ihrem spielerischen Ernst. Gespielt wird nach einer konzentrierten Kernprobenzeit von einer Woche vor Freunden, Bekannten, Musikliebhabern. Vor zehn Jahren entstand die Idee. Acht Opern wurden bereits aufgeführt. An Orten wie einem Outdoor Laden oder der historischen Tankstelle in Marzahn.
Begeisterter Applaus vom Publikum. 75 Sänger und Musiker trommeln einen wachsenden Freundeskreis zu seltenen Opern an unbekannten Orten zusammen. Die pure Lust am Spiel, am Gesang und der Musik steckt an. Chorsister Doris will bei der nächsten Aufführung im nächsten Jahr unbedingt mitsingen, egal wo. Edith Kresta
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen