berliner szenen: In den Eckpinten der Welt
Jedes Mal, wenn ich an dieser lauten ungemütlichen Destille am Hermannplatz vorbeikomme, und davor sitzt eine Gruppe hipper junger Spanier, wobei für mich ja inzwischen alle Menschen unter 45 zwangsläufig hippe junge Leute sind, es sei denn, sie trügen Uniform oder weiße Tennissocken in Adiletten, ach nee, ich glaube, das ist sogar megahip, ihr seht ja, ich hab eh keine Ahnung, also wenn ich vor dieser Eckpinte hippe junge Franzosen an den lauten und ungemütlichen Außentischen sitzen, trinken, reden und lachen sehe, als wäre das hier der Place-to-be, dann frage ich mich immer, ob, wenn nun umkehrt ich als Tourist in Rom wäre, oder wie die Hauptstadt von Spanien heißt, ich dann auch in einem analog leicht abgeranzten Viertel einfach in irgendeine beliebige Kneipe ginge, das „Tres Perros“ oder so, weil ich dächte, das wäre hier ein angesagter Laden und da müsse man rein, originelle Entdeckung, dabei ist das auch nur so eine Sky-Kaschemme für Opis und Trunkenbolde, und da säße ich dann stolz wie Graf Koks auf Reisen, und so ein einheimischer Spanier, also ein Typ wie ich jetzt praktisch hier, käme vorbei und würde innerlich ein bisschen über mich, den Touristen, lächeln, der denkt, er wäre hip, und dann würde er, der Italiener, sich als Nächstes vielleicht kurz fragen, ob, wenn er nun umgekehrt nach Deutschland käme, nach Berlin, er dann auch in einem analog leicht abgeranzten Viertel einfach in irgendeine beliebige Kneipe ginge, das „Brinks“ oder so, weil er dächte, das wäre hier ein angesagter Laden und da müsse man rein, originelle Entdeckung, dabei ist das auch nur so eine Sky-Kaschemme für Opis und Trunkenbolde, und da säße er dann stolz wie Graf Koks auf Reisen, und so ein einheimischer Deutscher, also ein Typ wie er jetzt praktisch hier, käme vorbei …
Uli Hannemann
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