berliner szenen: Die Letzte, die Goldi sah
Am späten Nachmittag erreicht mich eine E-Mail mit der Betreffzeile „Suche Goldi“. Goldi ist der Spitzname eines Mannes, der fast sein gesamtes Leben auf der Straße verbracht hat. Ich habe ihn vor knapp zwei Jahren kennengelernt und vor einem Jahr das letzte Mal gesehen.
Damals bat er mich um Hilfe: Er hatte sich in einer Obdachlosenunterkunft mit Krätze angesteckt und wollte erreichen, dass das zuständige Gesundheitsamt dem privaten Betreiber der Unterkunft Druck macht, die Räume reinigen zu lassen. Zwei Wochen, erzählte er am Telefon, sei er bereits isoliert. Bei seinen Anrufen im Gesundheitsamt werde er immer vertröstet. Und eine andere Unterkunft nehme ihn mit der Krätze nicht.
Ich schrieb ein paar hilflose E-Mails an die Ämter und bot Goldi kurzentschlossen an, ihm etwas Geld für Reinigungsmittel und Hygieneprodukte zu bringen. Er bat mich stattdessen um ein Zelt. Wir trafen uns an meinem Geburtstag für die Übergabe des Zeltes am S-Bahnhof Schönhauser Allee. Goldi zeigte mir die Spuren der Krätze auf seinen Armen und Beinen und bedankte sich unter Tränen für Geld und Zelt: „Ich werde vor dem Bundestag campieren, bis sie was für die Hygiene in den Unterkünften machen.“
Es war Februar, die Temperaturen lagen bei minus 4 Grad. Ich bat ihn aufzupassen und gab ihm noch einen Glühwein aus. Nun erfahre ich aus der E-Mail der Frau, die er seine große Liebe nannte, dass ich die Letzte war, die ihn sah. Sie sei, schreibt sie, von der Mutter seiner Tochter über Goldis Tod informiert worden und wolle herausbekommen, was ihm zugestoßen ist.
Ich schreibe ihr alles, was ich weiß, und denke dabei an die gerade einmal neunjährige Tochter, für die Goldi sein Leben in den Griff bekommen und für die er da sein wollte. Eva-Lena Lörzer
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