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berliner szenenDrei Stunden Behandlung am Zahn

Durch das Fenster sehe ich kleine Wolken ziehen und Tauben, die mit Zweigen im Schnabel hin und her über die Dächer Neuköllns fliegen. Meine Zahnärztin hatte mich gewarnt: Drei Stunden wird die Behandlung dauern. Dass ich dabei die ganze Zeit mit geöffnetem Mund sitzen würde, war mir nicht klar. Auch nicht, dass ich betäubt werden muss. „Frau Ferrando, wir haben das alles schon besprochen“, sagt sie geduldig. Ich gebe zu, dass ich es verdrängt habe, dass es mir Angst macht. „Lassen wir es?“, fragt sie, ich schüttle den Kopf.

Als ich den Spritzeneinstich spüre, verspannt sich mein ganzer Körper. Auch wenn sie mir mit sanfter Stimme erklärt, warum ein Druckschmerz entsteht, wenn sich das Anästhetikum breitmacht. Langsam fühle ich unter der Nase nichts mehr und werde schläfrig. Einige Sonnenstrahlen erreichen mich und es ist fast gemütlich, wenn man die fiesen Geräusche ausblenden oder sich vorstellen kann, in einer Werkstatt zu sein. Meine Zahnärztin und ihre Kollegin bohren, schleifen, nehmen Abdrücke. Ich dagegen kann nur das machen, was sie mir sagt (Mund zu oder auf, beißen, mit den Zähnen klappern). Außerdem gucke ich, wie sich die Uhr dreht und wie die Instrumente sortiert werden, als ob es sich um Essensbesteck handelte. Ich studiere die Stuckdecke, gehe mit dem Blick über die Geräte und die Bilder an der Wand, die ich mittlerweile auswendig kenne.

Was mich am meisten ablenkt, sind die Konversationen. Meine Zahnärztin erzählt, dass ihre Zahnärztin bei ihr nur gebohrt habe, als sie ein Kind war. Die Kollegin sagt, sie musste früher nie den Zahnarzt besuchen. Es geht um das schiefe Bild von Loriot, um Wasserwagen-Apps und um die Keramiker*innen, die die Farbe meiner Zähne nachmachen sollen.

Luciana Ferrando

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