berliner szenen: Ein halbes Gramm für 20
Krank gewesen und drei Tage nicht aus dem Schlafanzug herausgekommen. Das anarchische Vergammeln gehört zu den angenehmeren Seiten des Flachliegens. Es wiegt das Anstrengende des blöden Schwächelns sogar ein wenig auf.
Nun geht es aber wieder so weit, dass ein kleiner Gang nach draußen möglich ist. Ich nehme gleich ein paar aussortierte Sachen für die Grabbelkiste vorm Haus mit. Zwei ungesund aussehende junge Männer stehen davor und unterhalten sich. Mit meinem Herpes passe ich offenbar so gut ins Bild, dass sie mich zwischen sich an die Kiste lassen und getrost weiterplaudern.
„Ich hab aufgehört mit Crack und hab noch ein halbes Gramm. Wie viel kriegt man dafür?“, fragt der eine. Der andere, der anscheinend noch nicht aufgehört hat und auch etwas fertiger aussieht, antwortet: „25 Euro.“ „25? Mir wurden 9 angeboten. Ich geb's dir für 20.“ Der Informierte lehnt bedauernd ab – kein Geld. Der Cleane redet nun weiter: „Du brauchst dir um mich keine Sorgen machen, ich bin die Polizei.“ Und um das zu unterstreichen, fügt er noch hinzu: „Ich bin Kampfschwimmer.“ Der, dem kein 20er locker aus der Tasche springt, schenkt dem Kampfschwimmer zum Abschied ein müdes Lächeln und überlässt ihm sein Feuerzeug. „Ich hab noch eins.“
Mein Weg zum Einkaufen führt an den Toiletten am Fußballplatz vorbei. Hier finden sich seit einiger Zeit die Todgeweihten zusammen. Einer sucht am Boden nach Irgendwas, ein anderer steht elend zusammengekrümmt da. Ein Dritter fragt ihn mit erstaunlich viel Anteilnahme in der Stimme: „Eh, Lucien (Name geändert), ça va?“
Wenn man ein paar Tage so gut wie weg vom Fenster war, nur geschlafen, gedämmert oder lächerlichen Schrott im Fernsehen geguckt hat, berühren einen diese kleinen Blitze an Menschlichkeit sehr. Katrin Schings
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