berliner szenen: Er macht sich einen Jux
Mit Kopfschmerzen und obendrein kränklich in die Mall of Berlin zu fahren, ist keine gute Idee. Aber ich brauche eilig einen Hoodie für einen 16-Jährigen.
Um die Hauptstraßen zu vermeiden, fahre ich verschlungene Wege und stoße auf mindestens fünf Autos und Kleinlaster, die seelenruhig mit laufendem Motor herumstehen. Nur mit ihren Standabgasen könnte man wahrscheinlich eine halbe Schulklasse auslöschen, aber klar, kriminell sind die anderen. Ich habe keine Kraft, an die Scheiben zu klopfen und darum zu bitten, den Motor abzustellen.
Die Mall ist voll, aber nicht überfüllt. Jeder Shop ist sein eigenes Universum. In einem donnert Techno in unfassbarer Lautstärke. Trotzdem lächelt die Verkäuferin und hebt zuvorkommend heruntergefallene Kleidungsstücke auf. Hier gibt es nichts für meinen Heranwachsenden.
Auf dem weihnachtlich glitzernden Mittelweg springt mich plötzlich von hinten jemand an. Kurz setzt mein Herz aus. Es ist V., ein netter, anhänglicher Drittklässler mit seiner Mutter, ich kenne ihn aus der Arbeit. Hat sich angeschlichen und einen Jux erlaubt. Nach ein paar Schrecksekunden freue ich mich sehr über die Begegnung. Die beiden erzählen, dass sie nur zum Herumspazieren und Gucken gekommen sind. Ich muss daran denken, wie sich V. eine Zeit lang brennend für die alten Griechen interessierte und wir uns darüber schlappgelacht haben, dass sie und ihre Sklaven in den Büchern immer halbnackt und schlank sind und große Nasen haben.
Die beiden ziehen weiter und ich finde einen Hoodie.
Mein Heimweg führt über den Oranienplatz, wo ein martialisches Polizeiaufgebot eine gerade mal mittelgroße Demo bewacht. Die Wannen stehen kreuz und quer, die Motoren laufen, was das Zeug hält, könnte ja das Ordnungsamt vorbeikommen, har, har. Katrin Schings
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