berliner szenen: Im Regen nach Hause laufen
Als sie mich umarmt, kann ich das zitronige Parfum ihres Wollschals riechen. Gelb und sanft ist er, und ich muss an Küken denken. Die blonden Haare der unbekannten Frau riechen nach Shampoo und passen farbig zum Schal. Ich kenne sie nicht, sie lädt mich aber zur Ausstellungseröffnung ein, die gerade in einer kleinen Galerie am Mehringdamm stattfindet. Sie sitzt an der Fensterbank, als ich nass vom Regen und verschwitzt an dem Lokal vorbeijogge.
„Lost and Found“ steht am Fenster. Es sind Bilder einer ukrainischen Künstlerin, erklärt mir meine Gesprächspartnerin und zeigt auf eine Frau in traditioneller Tracht, die gerade telefoniert und uns zuwinkt. Ich entschuldige mich, dass ich nicht bleiben kann. „Nicht schlimm“, sagt die blonde Frau und nimmt mich in den Arm. „Komm später zurück.“ Ich nicke und laufe mit einem Lächeln im Gesicht die Bergmannstraße runter. Ich denke über die Begegnung nach. „Bravo, Bravo!“ ruft mir plötzlich ein Kebab-Verkäufer hinterher, Messer in der Hand. Passanten mit Regenschirmen schauen mich amüsiert an.
Als ich an die Kreuzung am Südstern komme, steht das Wasser so hoch, dass ich davor stehe und mich frage, wie ich die Straße überqueren soll. Neben mir steht eine Frau, die ebenso auf die riesige Pfütze starrt und sich das Gleiche zu überlegen scheint. „Na, und jetzt?“, fragt sie. „Fliegen“, antworte ich. Und sie: „Schwimmen.“ Wir lachen und suchen gemeinsam nach einer langweiligeren, aber sichereren dritten Lösung: eine Stelle, an der wir mit einem Sprung über das Wasser kommen. Einmal auf der anderen Seite der Hasenheide, wünschen wir uns einen schönen Abend und gehen in unterschiedlichen Richtungen fort. Als ich endlich zu Hause ankomme, bin ich so gut gelaunt, dass es mir egal ist, total durchnässt zu sein. Luciana Ferrando
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