berliner szenen: Gedanken an kindliche Fahrten
Alea stand unten an der Straße und wartete auf ein Taxi. Sie trug Tasche und Mantel, musste nicht lange warten, setzte sich flink auf die Rückbank, rief das Ziel aus, schnallte sich an, schwieg. So stellte ich mir das zumindest vor, als sie anrief. Eine schummerige Melodie erklang, ich sah aufs Display, bevor ich den Anruf entgegennahm.
Die Stadtlandschaft hinter den Fenstern nimmt die Anmutung eines Bildschirmschoners an, sagte sie. Der Taxifahrer trug eine rahmenlose, eckige Brille und wirkte, als sei er in einem beständigen Nebel unterwegs. In seinem undefinierten Bauch rotierte ein indisches Mittagessen, das ihm offenbar wilde Gefühle von Groll und Wut bereitete, auf deren tiefere Ursachen er aber keinen Zugriff hatte; darüber hinaus war er fürs Erste so uninteressant, dass sich weitere Beschreibung erübrigte, sagte Alea am anderen Ende der Leitung. Keine Ahnung, wieso sie so offen sprechen konnte. Hatten Taxis wegen Corona wieder dieses Sperrglas zwischen Fahrer und Rücksitz wie die yellow cabs in New York? Oder die alten Taxis in London? War sie gar nicht in Berlin und konnte deshalb auf Deutsch so frei reden?
Jedenfalls schilderte Alea munter weiter ihre Situation. In der saß sie angeschnallt hinter dem Beifahrersitz und hatte Lust, den Gurt zu lösen und sich in die Mitte zu setzen. Wie als Kind auf einer Fahrt von der Oma nach Hause, wie als Kind auf einer langen Fahrt in die Sommerferien. Diese Fahrten hatte sie immer geliebt, sagte sie. Diese nun führe an den Ausläufern eines ehemaligen Industriegebiets vorbei. Autofreie Parkplätze von der Größe mehrerer Flughäfen. Mehrarmige Peitschenlampen, die nachts heimlich in der Gegend herumstaksten. „Schön waren die Tage, an denen man sich fragte, welcher Tag eigentlich war“, sagte sie noch. Dann war sie plötzlich weg. René Hamann
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