berliner szenen: Margarine und Leberwurst
Ich bin der frühe Vogel im Supermarkt. Es sind nur wenige Leute da. Die meisten sind schon etwas älter. Manche von ihnen grüßen sich.
Vor dem Kühlregal steht eine kleine gebeugte Frau in einer hellen Jacke mit schlohweißen Haaren, die ihr wie eine weiche Wolke um den Kopf stehen. „Entschuldigen Sie, können Sie mir diese Margarine dort herunterreichen? Ich komme nicht bis da hoch.“ Ich reiche ihr ein Päckchen, und sie guckt es an und sagt: „Es wird alles teurer. Die hier kostet jetzt über drei Euro, stellen Sie sich mal vor!“
Ich gucke bedauernd und gestehe: „Ich weiß leider gar nicht, was Margarine normalerweise kostet.“
„Ach“, ruft die Frau empört, „ein Euro fuffzig höchstens.“
Sie guckt mich an, ihre Augen sind fast türkis, so hell sind sie, und unter dem Lid ist es rot von einer Entzündung.
„Wissen Sie, wenn es danach geht, müsste ich doppelte Rente bekommen. Zweimal 600 Euro.“ – „600 Euro“, sage ich betroffen, „das ist sehr wenig.“
Die Frau sagt: „Ja, eine Schweinerei ist das, aber ich bekomme zum Glück noch etwas von meinem Sohn. Wissen Sie, ich habe mein Lebtag gearbeitet, ich war Verkäuferin, aber kaufen kann ich mir davon nichts.“ Ich gucke einfach nur und weiß nicht, was ich sagen soll. Sie lacht auf und sagt: „Ach, was soll’s. Ich will Ihnen nicht den Tag vermiesen.“
„Aber nein“, sage ich hilflos.
„Einen schönen Tag“, sagt sie, guckt mich noch mal an mit ihren türkisen Augen, und ich lächle und wünsche den ebenso.
Etwas später sehe ich sie am Wurstregal. Sie schaut sich ein Glas Leberwurst an und geht dabei sehr nah an das Preisschild heran. Ich hätte sie am liebsten auf die Margarine und das Glas Leberwurst eingeladen. Aber dann wusste ich nicht, wie ich es machen soll, ohne ihren Stolz zu verletzen. Isobel Markus
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