berliner szenen: Harvey im schwarzen Fell
Da ist er ja wieder: der Frühling. Schön ist das, wenn einen plötzlich wieder die Vögel wecken und bis in die Abendstunden hinein um die Wette zwitschern. Mein persönlicher Frühlingsbote sind aber die Kaninchen, die sich bei Plusgraden wieder auf Freiflächen zusammenrotten und sich über frisch geschlüpfte Grashalme hermachen.
Anfangs sind sie mit ihrem graubraunen Fell noch nicht so leicht auszumachen, sie fügen sich noch perfekt ein in die kahlen Stellen der Büsche und unbewachsenen Flecken im Rasen. Nur wenn sie sich bewegen, von aufkeimendem Grün zum nächsten hoppeln, erspäht man sie bereits.
Ganz anders ein Exemplar, das ich bereits im vergangenen Jahr entdeckte. Im Tiergarten zwischen Schloss Bellevue und der Straße des 17. Juni lebt unter lauter graubraunen Artgenoss*innen ein schwarzes Schaf … äh Kaninchen. Bei der ersten Sichtung dachte ich noch an eine Wahnvorstellung ähnlich der, die man Menschen im Delirium tremens nachsagt und die einem das Sehen weißer Mäuse vorgaukelt. Nur hatte ich an besagtem Tag gar nichts getrunken.
Auch wenn ich Harvey – ich taufte das Kaninchen nach dem Film von Henry Koster – ab da an nur selten sah, wurde er fester Bestandteil meines Frühlings.
Jedes Mal fragte ich mich, wie er dorthin gekommen sei. Da er das einzige schwarze Kaninchen zu sein schien, konnte er wohl nicht von den anderen abstammen, oder? Ausgesetzt musste ihn wohl jemand haben.
Umso schöner war es zu sehen, dass er sich trotz seiner Andersartigkeit wohlzufühlen schien. Scheinbar so sehr, dass er auch in diesem Jahr wieder zurückgekehrt ist.
An derselben Stelle sah ich ihn letztens als allererstes Kaninchen in diesem Jahr: Harvey, mein ganz persönlicher Frühlingsbote.
Sophia Zessnik
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