berliner szenen: Unerwartet natürliche Dinge
Auf meinem Balkon spielen sich unerwartet natürliche Dinge ab. Es ist nur ein kleiner Balkon. Eigentlich ist gar es kein Balkon, sondern nur eine Fenstertür, die auf eine schmale Fensterbank führt. So eine Art von Balkon nennt sich französischer Balkon. Keine Ahnung warum, vielleicht weil er gerade groß genug ist, um eine Zigarette zu rauchen. Ich rauche aber nicht, ich friere drinnen schon genug. Selbst bei geschlossener Tür.
Nach Weihnachten verfiel ich auf den genialischen Einfall, die windige Fenstertür mit Tannenzweigen zu dämmen, Nachbarn überließen mir ihre gebrauchten Zweige. Leider zog es trotzdem elendig weiter. Verlorene Liebesmüh, dachte ich und vergaß die Sache. Auch die Zweige blieben liegen, wo sie waren. Wie das halt so ist. Nachdem ich vor wenigen Tagen von einer Reise zurückkehrt war, wollte ich, erholt, wie ich war, das nutzlose Gedöns entsorgen, zumal der Vermieter angekündigt hatte, die Frischluftzone persönlich in Augenschein zu nehmen. Im festen Glauben an die günstige Gelegenheit öffnete ich die Fenstertür und packte zwei, drei von ihnen.
Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich nicht allein auf dem Balkon zugange war. Überall um mich herum war plötzlich ein Flattern und Gurren. Vor Schreck ließ ich die Zweige fallen. Wie ein Unhold war ich in das Wohnzimmer einer braven Taubenfamilie eingedrungen. Eine der Tauben saß im Nest und behütete zwei Täubchen, die erst wenige Tage alt waren. Die andere Taube, wahrscheinlich der männliche Part, machte sich flugs davon.
Immerhin reagierte ich angemessen, schloss umgehend die Tür und betrachtete das Familienglück durch die schmutzige Scheibe. Als mir der Vermieter wieder einfiel, wusste ich, was ich zu tun hatte. Den Lokaltermin würde ich bis auf Weiteres verschieben: Henning Brüns
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