berliner szenen: Die Geschichten der Friseurin
Meine Friseurin ist nicht überrascht, als ich sage, dass ich noch Kohle für den Winter bestellen muss. Sie habe ihr halbes Leben damit geheizt. Im Kreuzberg der achtziger Jahre roch es in den kalten Monaten überall nur noch danach. Das habe ich öfters gehört und kann mir gut vorstellen, an grauen Nachmittagen neben der Mauer in dieser Luft spazieren zu gehen. Bei mir im Hinterhof riecht es ab Ende Oktober auch so, und ich mag diesen Geruch, den ich mit Berlin verbinde.
Mittlerweile habe meine Friseurin Zentralheizung und sei glücklich damit. Allgemein sei sie gerade nicht glücklich, sondern müde. Seit 38 Jahren arbeite sie ununterbrochen. Was ihr am meisten gefällt, frage ich, und meine damit ihre Lieblingsfrisuren, oder ob sie lieber Haare schneidet, als sie zu färben. Doch sie antwortet: „Ach, bei mir auf dem Balkon mit meinen Kaninchen zu sitzen und Eierlikör zu trinken.“ Wenn es kalt ist, sitze sie vor der Glotze und mache nichts – ihre Plattensammlung habe sie vor Kurzem verkauft. Früher sei sie viel unterwegs gewesen, sagt sie, und ich sehe sie vor dem KitKatClub Schlange stehen. Sie trägt dazu passende Klamotten, die bunten Wände des Friseursalons sind voller Bilder des Berliner Nachtlebens. Auch Fotos mit Promis und Kunstcollagen ihrer Freund*innen hängen daran. Im Schaufenster stehen Hunderte solarbetriebene Tanzfiguren.
Ich habe mir früher die Haare selber geschnitten, aber all das hat mich überzeugt, es jetzt bei ihr machen zu lassen. Und auch, dass sie meistens gut gelaunt ist und gerne Geschichten erzählt. Wenn sie doch schlecht gelaunt ist, streitet sie sich mit ihrer Kollegin, und dann bleibe ich ganz still, als wäre ich ein Kind, das sich benehmen muss. Irgendwann hält sie es aber nicht aus, fragt „Und wie geht’s dir, so?“, und wir fangen an zu quatschen.
Luciana Ferrando
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