berliner szenen: Die Angst des Mannes an der Kasse
Der Mann vor mir wuchtet erst die Einkäufe in die Tasche und dann die Tasche über die Schulter. Das scheint anstrengend zu sein. Er schnauft. Seine Begleiterin bezahlt und schiebt noch fix eine Rabattkarte über den Scanner. Dabei rutscht ihr der Schal aus der Hand, den sie bis dahin so halb von unten vor ihren Mund gehalten hat.
Sie und ihr Begleiter sind wie selbstverständlich und unbehelligt ohne Maske durch den Laden gelaufen. Nun drehen die beiden sich um und gehen Richtung Ausgang. Ich rücke vor.
Doch anstatt meine Milchtüte, die Nudeln und den Käse zu scannen und die Tomaten zu wiegen, guckt mich der Kassierer mit großen Augen an. „Seitdem das in Rheinland-Pfalz passiert ist, traut man sich gar nicht mehr, etwas zu sagen, wenn jemand ohne Maske kommt“, bricht es aus ihm heraus.
„O ja, das verstehe ich“, sage ich, und verstehe es erst in dem Moment, als ich es sage. Die Kund*innen hatte ich eher unbeteiligt beobachtet, fand sie fast harmlos im Vergleich zum Vorabend, wo es im Bioladen eskaliert war: Ein Typ mit fünf Flaschen Mineralwasser (vermutlich mit Aura) rastete aus, als ihn der Mann vom Sicherheitsdienst aufforderte, eine Maske aufzusetzen – oder den Laden zu verlassen. Er habe ein Attest, das müsse er aber wegen Datenschutz nicht zeigen. Der Laden habe einen Versorgungsauftrag. Er wollte mit dem Geschäftsführer sprechen, drohte mit Klage. „Der macht immer Probleme“, hieß es dort lapidar.
Doch hier spüre ich die Angst, nun sehe ich die Sorge in den Augen des Kassierers. „Ich hoffe echt, dass dir nichts passiert“, sage ich. Davor schützt die Plexiglaswand dann nicht, denke ich, und wie ungerecht es ist, dass ich einfach nach Hause gehen und schon in der Tür überlegen kann, was ich zum Abendessen kochen werde. Uta Schleiermacher
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