berliner szenen: Nazis könnten das falsch verstehen
Nach der langen Zeit ohne Auftritte ertappe ich mich dabei, dass ich selbst die weniger schönen Publikumskontakte zu vermissen beginne. Wie zum Beispiel die Begegnung mit dem jungen Typen, der nach der Show mit mir über den Rassismus in meinem Text sprechen möchte („Du, kann ich mal kurz mit dir reden?“, und wenn ich mich dann einigermaßen zufriedenstellend rechtfertige, sagt er: „Aber wenn hier Nazis sitzen würden, die könnten das vielleicht falsch verstehen“, worauf es aber nicht hilft, dass ich sag: „Wir haben ein gutes Publikum, ich trau denen das schon zu“, denn er denkt: Das einzig gute Publikum sind er und seine Peers, und sagt: „Eigentlich meint das ja vor allem meine Freundin hier“, und zeigt auf das Mädchen hinter sich, „die wollte dir das sagen“, die immer noch nichts sagt, sondern mich nur traurig, ernst und böse mustert, als würde sie gerade ihren Nazi-Opa beerdigen, dabei kocht sie innerlich, doch auch im Einfamilienreihenhaus der jungen Linken herrscht offenbar noch Ordnung: Die Frau kocht und der Mann erhebt das Wort, aber ich verstehe sie auch, denn natürlich würde ich sie, meinem Alter gemäß, sonst auf der Stelle sexistisch beschimpfen und rundum begrapschen, was sonst, ich muss das tun, es liegt in meiner Natur, und das möchte man ja nun auch wieder nicht riskieren, dann sagt halt besser der Paul was, der ist ja auch ein Mann, wenngleich ein guter, falls so was überhaupt geht. Und dann gehen die beiden wieder rüber, auf die Bank zu ihren Leuten und kiffen, und ich sehe wie stolz und zufrieden er ist, das habe alles ich mit meiner Kunst erreicht, und sie sehen rüber zu mir und lachen, und ich geh wieder rein und hol mir noch ein Bier an der Bar).
Sogar den vermisse ich.
Uli Hannemann
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