berliner szenen: Haltbarer als jede Beziehung
Jetzt reicht es wirklich mit dem dicken Daunenmantel. So ausgiebig ist der noch in keinem Winter spazieren getragen worden. Offenbar haben gerade viele genug von diesen plustrigen Klamotten. Das bedeutet Schlange stehen vor der Reinigung. Als die Frau vor mir gerade mit dem Thema anfangen will, von dem auch gerade alle genug haben, fällt mir meine Lieblingsfrage ein: „Was bedeutet Ihnen Ihr ältestes Kleidungsstück?“
Die Frau ist die ideale Kandidatin. Sie ist etwa siebzig, hat eine curryfarbene Wildlederhose über dem Arm und steigt begeistert auf meine Frage ein. Seit 25 Jahren trägt sie diese Hose, Winter für Winter fühlt sie sich darin gewärmt und geschützt. „Hoffentlich gehen die Fettflecken raus.“ Sie hat damals lange mit der Hose geliebäugelt. Auch als der Preis runtergesetzt wurde, war sie zu teuer für sie als Freelancerin. Anprobiert hat sie die Hose trotzdem – sie saß perfekt. Die Gesäßtaschen hatten Reißverschlüsse, ideal für ihre Disco-Besuche. „Man hat ja damals noch nicht Club gesagt.“ Bis dahin trug sie beim Tanzen immer ein albernes Täschchen.
Als sie Wochen später wieder an dem Geschäft vorbeikam, rief die Hose schon von Weitem: „Nochmals reduziert“. Für knapp 400 Mark hat sie sie schließlich gekauft. Das war mehr als ihre damalige Monatsmiete, aber aufs Jahr umgerechnet nicht mal 30 Euro, inklusive Wohlgefühl. Außerdem: gelebte Nachhaltigkeit. Zwei Männer hätten sie schon gedrängt, die Hose endlich mal auszusortieren. Konnten die ernsthaft eifersüchtig auf eine Hose sein? Nach der Reinigung will sie jedenfalls ein neues Futter hineinnähen lassen, das sei wirklich zerfasert. So wie die Beziehungen. „Aber die Hose hat beide Männer überlebt.“ Kein Wunder, sie sieht nicht nur robust aus, sondern auch sehr anschmiegsam.
Claudia Ingenhoven
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