berliner szenen: In die Höhe zwischen Spiegeln
Als Alea aus dem Taxi stieg, im Schatten des großen Glasturms am Potsdamer Platz, dachte sie daran, dass sie immer schon in einer klirrend kalten Luft stehen wollte und warten, dass ihr jemand die Seitentür öffnete, wie damals nach der Trauerfeier, der Beerdigung ihres Vaters. Aber der Fahrer machte keine Anstalten diesbezüglich, für solche Gesten war sie nicht gut genug. Umso mehr wollte sie in einer tropisch warmen Luft stehen statt hier in der pandemischen Kälte, glücklich und schweigsam und außer Gefahr, weil sie die Liebe gefunden haben würde. Das sagte sie. Weil sich das Leben auch sonst erledigt hätte.
Alea fühlte über die beiden Einschusslöcher in der Seitentür rechts hinten, die sie sich selbst hatte öffnen müssen. Zu spät, den jungen Taxifahrer mit der Haarpracht und der Jugend eines Studenten vor dem Bachelor nach der Geschichte hinter den Löchern zu fragen, aber die Fahrt war bezahlt, schon vor Antritt, eine Berührung ihres Telefons hatte dafür ausgereicht. Jetzt schlug sie die Tür zu und wich zwei Passanten auf Leihrollern aus, Leihrollern mit Elektromotor, die in Richtung Berlinale-Palast, der wie alles gerade geschlossen hatte, über den Radweg fuhren. Die fahle Wintersonne strahlte auf alles und Alea sah auf, denn vor ihr reckte sich das schicke Hauptgebäude in die Höhe, sie lag exakt in der Zeit, in wenigen Augenblicken wäre sie an den Pförtnern vorbei und im vollverspiegelten, lochfreien Aufzug würde sie endlich wieder ein Foto von sich machen. Und allein im Aufzug, würde sie ein Liedchen singen, das auch ein Lügenliedchen wäre, „Un cielo in una stanza“, der Himmel in einem Zimmer, also einem Zimmer ohne Decke, oder zumindest einer himmelblau gestrichenen, und sie würde vom Aufzug emporgehoben werden, elektrisch, vollautomatisch, geruchsneutral und ohne Loch. René Hamann
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