berliner szenen: Brille, blass, vegan, die Liste ist lang
Ich bin mit meinem Auto in der Werkstatt. Mein Auto ist eigentlich kein Auto, sondern ein Van. Ein G20 Chevrolet Van, Baujahr 1993, 8 Zylinder, verdunkelte Scheiben. Zwei Meter breit, fünf Meter lang. „Sind Sie selber hergefahren?“, fragt der Mechaniker. Ich bin ein wenig enttäuscht, so eine amerikanische Werkstatt hatte ich mir glamouröser vorgestellt. Wo waren die muskulösen Arbeiter in verschwitzten Unterhemden, die Jeans mit sexy Ölfleck auf dem Po und dieser Werkzeuggürtel, dessen Schnalle man langsam würde öffnen müssen, bevor man zu Marvin Gayes „Let’s get it on“ auf dem Rücksitz zu liegen käme?
„Warum bringt Ihr Freund nicht den Wagen?“, reißt mich der Mechaniker aus meinen Gedanken. „Der muss arbeiten.“
„Und Sie passen auf die Kinder auf?“
„Der Van ist ein Einzelkind“, sage ich, und zu meiner Überraschung sehe ich ihn lächeln. Leider lächelt er, ohne sich dabei nach einem schweren Reifen zu bücken und den Blick auf seinen Bizeps freizugeben. „Wo liegt denn das Problem?“ – „Er zieht nicht richtig.“ – „V8?“ – „Ja“, sage ich stolz, „V8, G20, 1993.“ – „Wer hat das Gas eingebaut?“ – „Sie, vor zwei Jahren.“ – „Ich glaube, ich erinnere mich. War das damals Ihr Freund? Der sah auch so nach Akademiker aus.“
„Wie sieht denn ein Akademiker aus?“ – „Na so mit Brille. Und dünn. Blass vielleicht noch. Kein Führerschein. Vegan. Die Liste ist lang.“ – „Mein Freund ist recht muskulös“, sage ich, „und hört gerne Marvin Gaye.“
„Haben Sie etwa so Mechanikerfantasien?“ Ich werde rot. „Soll ich mich mal nach einem schweren Reifen bücken?“
„Soll ich mich das nächste Mal von meinem Freund fahren lassen?“
„Für einen Akademiker sind Sie ganz schön witzig“, sagt der Mechaniker und steckt den Schlüssel ins Schloss. „Lassen Sie mir Ihr Baby mal da, das ist sicher die Kraftstoffpumpe.“
Eva Mirasol
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