berliner szenen: Ein Bild mit Tante Lu ohne Zähne
Ich weiß, dass sie lachen wird, wenn ich das Baby mit einer Katze vergleiche. Auch wenn das Baby ihr Sohn und gerade eine Woche alt geworden ist. Ich schreibe ihr, dass, wenn ich schlafende Babys sehe – oder eben Katzen – neidisch auf sie bin. Beide sehen für mich im Schlaf so aus, als wären sie dafür geschaffen.
Sie reagiert auch mit lachenden Emojis, als ich das Baby mit meiner gebrochenen Hand vergleiche. Seit einiger Zeit darf ich die Schiene (die ich Gips nenne) abnehmen und Übungen mit der Hand machen. Es fühlt sich an, als hätte sie ein eigenes Leben, und ich zelebriere jeden Fortschritt, so wie ich mir vorstelle, dass Mütter jede neue Bewegung ihres Babys feiern.
Als ich den Fahrradunfall hatte, war sie hochschwanger. Ich rufe sie nach der Nacht im Krankenhaus an, um zu fragen, ob ihr Freund mich mit dem Auto abholen kann. Er sei leider schon zur Arbeit. „Ich fahre mit der S-Bahn und hole dich ab“, sagt sie. „Auf keinem Fall.“ Sie wohnt in Wilmersdorf, und ich bin im Unfallkrankenhaus in Wuhletal, wie mir eine Schwester mitteilte.
Noch unter Schock, kaufe ich mir einen Kaffee aus der Maschine und versuche es bei anderen Freund*innen, ich möchte ungern Taxi fahren. Und dann taucht sie doch mit ihrem riesigen Bauch auf, und wir warten auf einer Bank auf eine andere Freundin, die mit einem Auto auf dem Weg ist.
Wir fantasieren: Was wäre, wenn das Baby jetzt kommt? „Wir machen ein erstes Bild mit Tante Lu ohne Zähne, aber mit Gips für das Familienalbum.“ Seitdem gehen wir als Team zu Arztterminen und sonst wohin mit unserem langsamen Rhythmus, heulend, aber lachend, wenn wir uns von außen betrachten. Jetzt, wo das Baby da ist und es mir besser geht, dürfen wir uns wegen Corona nicht besuchen, aber über Whatsapp lachen wir zusammen. Luciana Ferrando
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