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berliner szenenWink des brennenden Zaunpfahls

Die Fußballkneipe an der Ecke hat die Rollläden heruntergelassen. Der Aufbruch muss überstürzt gewesen sein; es ist, als wäre alles Leben von einem Moment auf den anderen plötzlich eingefroren. Auf der Tafel neben der Eingangstür steht in Kreide noch immer die Ankündigung der letzten hier im Fernsehen gezeigten Bundesligapartie. Es war das Sonntagabendspiel, am Tag darauf begann der neue Shutdown. Über zwei Wochen ist das her – die Ankündigung liest sich nun wie bedeutungslos gewordene Runen aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt. Es hat etwas von einem Katastrophenfilm.

Doch was mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagt, ist ein teuflisches, in seiner apokalyptischen Symbolik ungeheures Detail. Denn dort steht nicht etwa „Real Madrid – FC Barcelona“, sondern „Hertha BSC – VFL Wolfsburg“. Eine Spielpaarung, die an sich nach Vergeblichkeit riecht, nach Tod, Verwesung und dem Ende der Welt. Wer hier noch an Zufall glaubt, glaubt auch nicht an Gespenster. Es ist ein Treppenwitz der Weltuntergangsgeschichte, ein Wink mit dem brennenden Zaunpfahl direkt aus der Hölle. Als wäre die Uhr am Doomsday um sechs Uhr sechsundsechzig für alle Zeit stehen geblieben.

Ich sehe eine Westernstadt, der heulende Wind treibt Tumble Weed durch die Straßen. Die Bewohner sind geflohen, von den Banditen verschleppt oder getötet worden. Die Schwingtür des Saloons quietscht im Wind: Ist noch jemand am Leben? Doch da sitzt nur ein Skelett vor seinem Whiskyglas, dessen Inhalt längst verdunstet ist. Neben der Bar ein Aushang mit den Bordellöffnungszeiten, Steckbriefen sowie eine Ankündigung: Hertha BSC gegen VFL Wolfsburg.

In diesem Moment weiß der Fremde: Diese Stadt wird nie wieder bewohnt sein, und das ist auch gut so. Uli Hannemann

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