berliner szenen: Hier kommt Die Tödliche Detox
Du weißt nicht, was 16:8 ist? Wo lebst du eigentlich, fragte mich ein Freund, der es ablehnte, mein Kartoffelbrot zu probieren – mit dem Hinweis auf sein Intervallfasten. Ich bin selbst Kind einer Mutter, die Diätrezepte sammelte, ohne sie jemals umsetzen zu müssen. So war ich skeptisch, zumal der Freund vor dem Fasten schon schlank war, während ich sicher ein paar Kilo zu viel bin.
Abnehmen, gut. Nur der Grund für das intermittierende Fasten irritierte mich: Menschen seien früher Jäger und Sammler gewesen und hätten nur kurz Zugriff auf Nahrung gehabt, dazwischen hungerten sie. Ist das nicht schon sehr lange her? Hatten die Erbauer der Pyramiden nicht Handlanger, die ihre Felder bestellten, sodass es an Manna nicht mangelte? Ich wollte nicht streiten, der Abend noch jung, glitt auf dem Rad nach Stralau. Wo in meiner Erinnerung Glashütten, Speicher und Baracken standen, wird nun Wohnen am Wasser zelebriert in viergeschossiger Kastenarchitektur. Eine Bekannte auf Wohnungssuche war hier kurzfristig untergekommen.
Was willst du trinken, fragte sie und schob gleich nach, ich mache gerade Detox. Pflichtschuldig wies ich das Angebot zurück, den Weißweinrest im Kühlschrank zu entsorgen, und beteiligte mich an einem Kräuteraufguss. Dann spielten wir ein Kartenspiel mit psychologisch tiefgehenden Fragen. Und stritten plötzlich über Diäten. Die Coronadiät ist die beste, argumentierte sie, weniger Alkohol, weil Sperrstunde um 23 Uhr. Ich würde darüber keine Witze machen, sagte ich. Eine Freundin hatte gerade Corona, in zwei Wochen hat sie zehn Kilo verloren. Wir schwiegen. Der Abend würde sicher nicht das Ende nehmen, das ich mir erhofft hatte. Sie goss noch einmal Tee auf. Dann rief sie aus der Küchenzeile. Hey, gründen wir eine Band? Ich hätt‘ schon’nen Namen: Die Tödliche Detox. Timo Berger
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