berliner szenen: Fahrrad macht Zahn kaputt
Wo bist du gerade, ragazza?“, schreibt mir eine Freundin aus Argentinien auf Whatsapp. Ich war per Rad in Norditalien unterwegs gewesen und berichtete ihr regelmäßig von zurückgelegten Kilometern, Landschaften und Begegnungen. Dass ich, als ich ihre Nachricht erhalte, wegen eines Fahrradunfalls im Krankenhaus liege, empfinde ich als doppeltes Paradox.
Zum einen: Ich hatte die Alpen unfallfrei überquert. Doch zwei Tage nach meiner Rückkehr pralle ich mit dem Fahrrad an der Ecke Karl-Marx-Straße/Reuterstraße gegen einen Roller und lande zum ersten Mal in meinem Leben in einer Rettungsstelle. Zum anderen: Als mich die argentinische Freundin just vor einem Jahr in Berlin besuchte, hatte sie auch einen Fahrradunfall. Bei ihr war auch ein Schneidezahn betroffen, der nur nach langer und komplizierter Wurzelbehandlung gerettet werden konnte. Bis heute plagt mich deshalb ein schlechtes Gewissen, weil ich diejenige war, die damals darauf bestand, mit dem Rad zum Treptower Park zu fahren nicht zu Fuß. Sie prallte auf der Weserstraße gegen ein Gerüst und der Spätiverkäufer von gegenüber gab uns Eiswürfel, während ich die Notrufnummer wegen eines Krankenwagens anrief. Weil sie ihre Reisepläne nicht absagen wollte, flog sie hinterher nach London und schickte mir aus der Baker Street Selfies mit geschwollenen Lippen
Auf ihre Nachricht antworte ich nicht sofort, weil ich nicht weiß, wie ich es ihr am besten erzählen soll. Ich überlege, ihr zu schreiben, dass das Schicksal an mir Rache genommen hat. Das wäre aber nicht lustig und auch nicht wahr. Soll ich ihr ein Selbstporträt mit Gips und kaputten Zähnen schicken? Auch keine gute Idee. „Lass uns telefonieren“, tippe ich eines Morgens, als ich schmerzfrei aufwache.
Luciana Ferrando
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