piwik no script img

berliner szenenFenster zu, im Ohr da zieht’s

Ein großes Berliner Krankenhaus. 7 Uhr morgens. Ich bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. Ich bin seit 24 Stunden im Dienst und habe nicht eine Sekunde geschlafen. Und jetzt ist auch noch der Kollege aus dem Frühdienst krank. Natürlich darf man nicht länger als 24 Stunden arbeiten, aber der Oberarzt versucht es mit dem Welpenblick: „Wer soll denn die Visite so spontan übernehmen? Und Sie sind doch noch da!“

Ich nicke. Klar, ich bin noch da. Wir betreten das erste Zimmer. Dort liegt Herr Schmidt, 90 Jahre, Lungenentzündung. „Ich habe ihm Sauerstoff über die Nase gegeben und ein Antibiotikum“, berichte ich. Der Oberarzt nickt zufrieden. Herr Schmidt sieht mich an: „Sie schon wieder“, er klingt wenig begeistert, „könnten Sie bitte das Fenster schließen? Es zieht!“ Ich schließe das Fenster. „Es zieht immer noch!“ Ich rüttele am Griff. „Tut mir leid, das Fenster ist geschlossen.“

Missbilligend blickt er mich an: „In diesem Laden funktioniert ja gar nichts. Das Essen ist schlecht, Sie haben gestern beim Blutabnehmen dreimal danebengestochen, und jetzt zieht es auch noch! Am Ende werde ich noch krank!“ – „Sie sind doch schon krank“, wirft der Oberarzt ein. Herr Schmidt lächelt. Gut, dass mir das nicht rausgerutscht ist.

„Darf ich auf Ihre Lunge hören?“, frage ich stattdessen. „Wenn Sie wissen, wo die ist.“ Er schimpft weiter. Ich ziehe mein Stethoskop aus der Tasche. Als ich mich über seine Brust beuge, höre ich es auch, ein leises schsch dringt an mein Ohr, es zieht tatsächlich! Ich blicke auf Herrn Schmidt, der mir trotz fortgesetzten Grummelns soeben sympathisch wird. „Ich nehme Ihnen jetzt mal den Sauerstoffschlauch aus dem Ohr“, sage ich und stecke die Kunststoffpfropfen wieder in seine Nasenlöcher, „dann zieht es auch nicht mehr so.“ Eva Mirasol

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen