berliner szenen: Die lauten Leute vorm Balkon
Das Wohnen im Erdgeschoss hat seine Tücken. Man bekommt viel mit vom Leben anderer Menschen, sehr viel mehr, als einem lieb ist. Vor allem im Sommer. Auf dem Mäuerchen vor unserem Vorgarten sitzen fremde Menschen, Tag und Nacht. Sie rauchen, trinken Kaffee, essen Eis. Sie quatschen, heulen, streiten, telefonieren und spielen Pokémon-Go. Wenn ich auf dem Balkon sitze, verstehe ich jedes Wort und rieche jede Zigarette, sie sind keine zwei Meter von mir entfernt. Trotzdem verhalten sie sich, als sei ich nicht existent.
Es nervt. Manchmal bitte ich besonders anstrengende Zeitgenossen, sich in den 100 Meter entfernten Park zu setzen. Manche erschrecken dann ein bisschen, einige entschuldigen sich.
Im Haus gegenüber ist eine Notunterkunft für Frauen mit Migrationshintergrund. Die sitzen auch draußen, direkt vor der Haustür auf den Stufen. Und telefonieren, irre laut, den ganzen Tag. Meine Nachbarin meint, dass vermutlich genau bis dorthin das WLAN reicht. Dieses laute Telefonieren in fremden Sprachen ist oft das Letzte, was ich vorm Einschlafen höre. Ein sommerliches Grundrauschen.
Seit es so heiß ist, schlafe ich auf dem Balkon. Nachts ist die Straße ruhig. Ich liege auf meiner Isomatte und genieße die kühle Luft. Im Hintergrund: die lauten Telefonate. Gegen eins, halb zwei gehen die Frauen rein. Gegen fünf sitzt die erste wieder draußen. Sie wirken immer etwas einsam. Es scheint, als seien alle Freunde immer nur am anderen Ende der Leitung und sehr weit weg.
Neulich wachte ich mitten in der Nacht auf. Es war halb drei, ich sah durchs Balkongitter. Da saß eine der Frau wie immer auf den Stufen. Aber neben ihr saß jemand: der Typ aus dem Erdgeschoss. Ohne Handys. Sie saßen da und redeten leise miteinander. Ich bin dann beruhigt wieder eingeschlafen. Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen