berliner szenen: Die Bauarbeiter gegenüber
Ich sehe sie, wenn sie früh morgens Kaffee trinken auf dem Gerüst und sie auf ihre Handys gucken. Ich höre sie diskutieren in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Oder vielleicht reden sie nur laut und ich bilde mir ein, dass sie sich streiten würden. Manchmal lachen sie, und einer von ihnen singt ab und zu, immer dasselbe Lied, auch in dieser für mich unbekannten Sprache.
Ich weiß nicht, ob sie mich auch sehen, wenn ich die Pflanzen gieße oder nach der Dusche kurz rausgehe mit Handtuch um dem Kopf und einer Tasse Kaffee in der Hand oder ob sie mich hören, wenn ich mit meinen Kolleg*innen auf dem Balkon an Zoom-Besprechungen teilnehme.
Ich mag sie, die Bauarbeiter, die gegenüber meinem Balkon ein neues Haus bauen. Wahrscheinlich Luxuswohnungen, sage ich mir. Das sieht zumindest jetzt so aus. Ich weiß nicht, ob ich meine neue Nachbar*innen mögen werde, aber die Bauarbeiter stören mich nicht. Im Gegenteil, wenn sie nicht da sind, fehlt mir schon die Soundkulisse, die sie, ohne es zu wissen, für mich kreieren. Ich habe nie mit ihnen ein Wort getauscht, habe aber das Gefühl, sie schon zu kennen. Ich kann die Hierarchien unter ihnen unterscheiden und merke es auch, wenn der Oberchef kommt.
Es ist auch ein bisschen, als würden wir nebeneinander in einem Freiluft-Coworking-Space arbeiten. Manchmal haben sie ihre Mittagspause, wenn ich sie auch mache. Die Geräusche, die sie mit ihren Maschinen erzeugen, kann man gut aushalten, finde ich. Ich habe sogar den Eindruck, sie versuchen, so leise wie möglich damit zu sein. Wenn etwas Spannendes bei ihnen passiert, zum Beispiel wenn sie einen Fensterrahmen hochziehen müssen, schaue ich mir die Aktion an (als wäre ich Teil der Gruppe) und bin erleichtert, wenn sie es geschafft haben.
Luciana Ferrando
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