berliner szenen: Als wir Nomaden waren
Als wir den Picknick-Grill an der Havel anmachen, wird es gerade grau und windig. Es riecht nach Regen. Gemischt mit trockenen Holzstücken liegen am Ufer einige vom Wasser erodierte Plastikmüllstücke, als wären sie Muscheln in Pastellfarben. Uns stören sie nicht. Am anderen Ende unseres Strandes spielen zwei Jugendliche, die Weiden verdecken sie, aber wir hören sie kichern. Dann gehen sie und es ist still.
Auch wenn wir erst seit zwei Stunden mit dem Rad unterwegs sind, fühlt es sich für einen Moment so an, als würden wir so leben und uns gerade erwärmen nach einer langen Strecke. „Far-West-mäßig“, sagt meine Freundin und wir unterhalten uns über blinde Zugpassagiere, die sogenannten „Hobos“. Mich hatte die Reportage eines Fotografen, der selber so die USA bereist, beeindruckt.
Dann sind die 20 Minuten vorbei, die man laut der Anleitung auf der Verpackung warten muss, um das Essen auf den Grill zu legen, und wir freuen uns darauf. Ich mache mir schon Sorgen, wegen Feuer und Wind, aber auch wegen der Strafe, die wir vielleicht bezahlen müssen, wenn ein Passant auf die Idee kommt, die Polizei anzurufen. Doch meine Freundin ist gelassen. „Es gab kein Verbotsschild“, sagt sie. Außerdem haben wir andere Grillende in der Nähe gesehen. Also essen wir Grillkäse und Mais und tunken die Marinade mit Brot auf. Danach bleiben wir noch eine Weile mit vollem Bauch und gestreckten Hände „am Feuer“. Wir spülen unsere Teller im Fluss, packen die Räder und machen uns auf den Weg.
Die Sonne scheint plötzlich wieder und wir entscheiden uns, einen Espresso auf einem Restaurantschiff zu trinken. Meine Freundin guckt sich die schick angezogenen Gäste um uns herum an und lacht. „Weißt du noch, damals, als wir Nomaden waren?“ Luciana Ferrando
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