berliner szenen: Ick hatte schon Corona
Vor vielleicht drei Wochen hab ich es das erste Mal gehört: „Die verarschen uns doch!“, sagte meine Nachbarin. Seitdem belese ich mich über Hygienedemonstranten, verstehe deren Argumente aber nicht so richtig. Auch egal, man versteht ja sowieso von Woche zu Woche immer weniger. Abends schaue ich mir Demo-Videos im Netz an. Prompt kann ich nicht schlafen und denke darüber nach, dass in der Wohnung über mir jemand vielleicht glaubt, dass Corona Fake ist.
Mein Mann ist auch noch wach und ich lasse ihn an meinen Gedanken teilhaben. Mitten in meinen Ausführungen schläft er ein. Am nächsten Morgen beim Frühstück sagt er zum Kind: „Ich muss noch basteln. Einen Aluhut für Mama.“ Boah ey, nur weil ich gefragt habe, ob er eigentlich Corona-Infizierte kennt. Wir kennen alle niemanden. Nur so Bekannte von Freunden über Instagram, so in der Art.
Montag früh um neun klingelt es an der Tür, zu früh für Paketboten. Auch für die Nachbarn, die ihre Pakete abholen. Sonst hat man ja derzeit wenig Besuch. Es ist der Wasserzähler-Ableser. „Müssen Sie eigentlich gar keine Maske tragen, obwohl Sie den ganzen Tag in fremden Wohnungen sind?“, fragt mein Mann. „Dit kann ick selbst entscheiden“, kommt die Antwort. „Aber ick hatte schon Corona, ick bin jetzt wohl erst mal immun.“ Und er erzählt, dass er bei einer Familie den Wasserzähler ausgewechselt hat, die ihm dann erzählt hat, dass sie gerade in häuslicher Quarantäne ist. „Und dann ist der Mann immer so nahe an mich ranjekommen, und ick hab ihn noch jefragt, warum er das macht. Dann bin ick positiv jetestet, und dann hab ick ihn angezeigt. Ick glaube, der hat das sogar mit Absicht gemacht.“ Mir wird alles immer unheimlicher. Vielleicht falte ich mir jetzt selber einen Aluhut. Sicherheitshalber. Gaby Coldewey
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen