berliner szenen: Abschalten mit Kaugummi
Manchmal, wenn mir in diesen Zeiten die Decke auf den Kopf zu fallen droht, hilft es, wenn ich draußen eine Weile zum Himmel hinaufschaue. Mittlerweile mache ich das täglich: Ich gehe die Treppe runter, stelle mich unten aufs Trottoir und schaue zwei oder drei Minuten lang nach oben. Der Himmel. Mit Wolken. Oder ohne Wolken. Ich stehe still da, auf irgendeinem plattgelatschten Kaugummi, und denke, dass mir der Himmel, im Vergleich zur Decke, nicht auf den Kopf fallen kann und dass das Universum außerdem ein echter Kracher ist. Man soll ja eigentlich versuchen, an nichts zu denken, wenn man so achtsam in der Gegend rumsteht. Das weiß ich, weil ich mal einen Meditationskurs gemacht habe.
Als ich so dastehe, zunächst mit offenen Augen, dann mit geschlossenen, kommt meine jüngste Tochter dazu. Sie und ihre Schwester machen gemeinsam Homeoffice, mit zusammengeschobenen Schreibtischen und allem Drum und Dran. Jetzt haben sie grad große Pause.
„Was machst du da, Papa?“
„Ich versuche, an nichts zu denken.“
„Und, klappt es?“
„Geht so. War schon mal besser.“
Die Tür geht auf und meine zweite Tochter steht auf der Matte.
„Hey, was macht ihr?“
„Abschalten“, sage ich.
„Wie … abschalten?“
„Gedanken abschalten.“
„Und wo ist der Knopf dafür?“, will sie wissen. Im Nu stimmt ihre Schwester ein und die beiden drücken kichernd auf mir herum, auf der Suche nach dem Gedankenabschaltknopf. Sie finden nur meinen Gutelauneknopf. Wenn man so dasteht und einem jemand immerzu auf den Gutelauneknopf drückt, während oben der Himmel endlos blau ist, kann man schlecht Nein sagen, wenn man gefragt wird: „Können wir uns nachher ein Eis holen, Papa?“ Jochen Weeber
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