berliner szenen: Die Hände kaputt waschen
Gestern haben wir eine Familie mit Trompete unterm Balkon dem Opa zum 85. gratulieren sehen. Mit Girlande und Kerze im Hof. Überall gingen Fenster auf, und die Nachbarn sangen mit. Wir auch. Ohne Corona wäre doch wieder nur die eigene Bagage zum Kuchenfassen gekommen. So war es ein halbes Straßenfest.
Danach ist mein Kind mit dem Laufrad, das es so stolz durchs Viertel schiebt, weil es zum Fahren noch zu klein ist, hinter einem größeren Kind her die Treppe runtergebrettert und heißt jetzt Häuptling dicke Lippe. Wir passen gut zusammen. Ich hab den Monsterherpes an der Unterlippe.
„Haben Sie grad irgendwie Stress, Mädchen?“, fragt mich meine Hautärztin. Wir müssen beide lachen. „Wenigstens hast du ein Virus, gegen das es Medikamente gibt“, sagt die Hautärztin. Sie darf du zu mir sagen. Sie ist so weise wie die uralte Morla aus der „Unendlichen Geschichte“. Dann erzählt sie von der Ruhrepidemie in der DDR, wo sie als Studentin mit ihren Kommilitonen losgeschickt wurde, um auf der Straße Abstriche bei den Passanten zu machen.
Der Apotheker verkauft grad Hautcremes wie nie. Die Leute waschen sich alle die Hände kaputt. „Das zerstört die Lipidschicht der Haut, und dann können sich die Keime viel besser festsetzen“, meint er.
Ich zucke die Achseln. „Momentan kann man ja irgendwie nur alles falsch machen.“
Er lacht. „Wem sagen Sie das. Gerade ältere Leute verstehen nicht, worum es geht. Die kommen rein, sehen unsere Desinfektionsmittelstation am Eingang, klemmen ihr Rezept zwischen die Lippen und desinfizieren sich erst mal gründlich die Hände, bevor sie uns das Rezept unter der Plasteschutzwand über den Tresen reichen.“
Vor der Apotheke steht ein Aufsteller: Bring Corona nicht zu Oma. Lea Streisand
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