berliner szenen: Hilfe, ich bin im Kalender gefangen
Die Ramensuppe auf dem Weg zum Kino ist noch super, danach geht es bergab. „Little Women“ von Greta Gerwig läuft wie zuletzt so vieles im Rollberg nur noch als OV. „Ohne Untertitel“, gebe ich im Foyer zischend den Wutbürger, „fremd im eigenen Land“, „ist doch wahr“ und „nichts darf man mehr sagen“. Ist natürlich nur Spaß. Aber auch der bleibt einem zurzeit im Hals stecken. So schließe ich schnell mit: „Ich versteh das doch alles nicht.“
Leider verstehe ich jedes Wort. Bemitleidenswerte Topschauspielerinnen aus drei Generationen bewegen sich in einer „BDM-Heinzelmädchen meets Charles Dickens in der Weihnachtsbäckerei“-Kulisse; zum Christfest schleppen sie den gesamten Schlussverkauf einer Konditorei, ihr Frühstück, zu einer Bretterbude im Wald, wo die blass geschminkten Grattler wohnen, die zum Dank mit ihrem Siff das jüngste Heinzelmädchen anstecken.
Nur bei Laura Dern hat man zuweilen das Gefühl, sie wolle uns wie durch bewusstes Overacting heimlich Zeichen geben: „Hilfe, ich bin hier in einem Adventskalender gefangen. Ich weiß, was los ist. Ich weiß, was ihr denkt. Ich kann nichts dafür!“
„Parodie, Parodie, Parodie“, hämmert es fortwährend in meinem Kopf, doch das ist hier komplett humorfreie Zone. Wir lachen viel, das tun nur wenige außer uns, ein paar Leute gehen jedoch vor der Zeit. Dass das Publikum einen nicht lustig gemeinten Film auslacht, dürfte für die Macher eigentlich als Höchststrafe gelten. Mir ist schon klar, dass Gerwig hinterher nicht im Rollberg anruft: „What does Uli say?“, trotzdem muss das Ergebnis ihrer Arbeit doch zu ihr durchgedrungen sein? Jeder hat mal ’nen schlechten Tag, aber die war doch auf Trip, oder? Es ist, als hätten Aliens die echte Greta ausgetauscht und durch Florian Silbereisen ersetzt.
Uli Hannemann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen