berliner szenen: Ein Urlaub in Lichterfelde
Der Orkan „Sabine“ soll in Berlin toben, sagen sie im Radio. Trotzdem habe ich Lust spazieren zu gehen. Am besten irgendwohin in der Stadt, wo ich noch nie war. Sonntagsspaziergänge haben mir schon immer gefallen.
Ich nehme den Bus 104 und steige am Kaiser-Wilhelm-Platz um. Ich sitze dann im M85 am Fenster, die Sonne scheint mir ins Gesicht. Nach Lichterfelde Süd möchte ich fahren und dann zurück. Doch kurz vor der Endstation sehe ich eine Straße mit Kopfsteinpflaster und Villen und steige spontan aus. Solche Straßen erinnern mich an manche Kulisse meiner Kindheit.
Aus einem Restaurant mit italienischem Namen kommt eine Stimme, als würde darin eine Frau Karaoke singen. Ein Familienfest, stelle ich mir vor, und gehe weiter. Als nächstes sehe ich einen Hof voller Holz-„Schneemänner“: als Erinnerungsstücke für kommende schneelose Generationen, so meine Überlegung zu der traurigen Deko.
Einfamilienhäuser, ein Hexenhaus. „Wie Grunewald, nur abgefuckter“, schreibe ich in der Soester Straße in mein Notizbuch und stelle mir diesmal vor, dass misstrauische Menschen hinter den Gardinen lauschen. „Lügenpresse“, rufen sie mir in meiner Vorstellung zu, nur weil ich was schreibe. In der Realität passiert das nicht. Nein, die Straßen sind so still und leer, dass ich mich frage, wo denn alle sind.
Eine Antwort bekomme ich kurz später, als ich ein Eiscafé um die Ecke betrete. Ältere Paare, große Familien, Teenager. Alle Tische sind besetzt. Kunden werden mit Vornamen begrüßt, hinter der Theke wird italienisch gesprochen. Kleinkinder spielen herum und weinen. Ich werde als Fremde angestarrt. Es ist hektisch. Die Kellnerinnen sind unfreundlich, der Pflaumenkuchen köstlich. Vom Orkan „Sabine“ fehlt jede Spur, ich fühle mich wie im Urlaub.
Luciana Ferrando
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