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berliner szenenWestberlin war leer an dem Tag

Ich habe das Buch „The rest is noise“ von Alex Ross gelesen und selten so viele Eselsohren in einem Buch hinterlassen. Nun bin ich der sicheren Überzeugung: Will ich die Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert besser verstehen, brauche ich dringend die Oper „Salome“ von Richard Strauss.

Ich fahre zu einem der wenigen übriggebliebenen Läden, die ausschließlich Klassik und Jazz anbieten. Stehe überfordert als jemand, der ein wenig, aber zu wenig von Musik versteht, in dem Laden. Und spreche die ältere Frau hinter dem Verkaufstresen an, die gerade mit einem Preisauszeichner der ersten Generation Etiketten auf CDs anbringt. Sie sieht auf.

Ich störe sie eigentlich mehr, als sie jetzt vertragen will. Sie kommt um den Tresen und baut sich, die Arme in die Hüften gestemmt, vor mir auf. Dann geht sie mit mir zu dem Regal, über dem „Oper“ steht. „Ach, dit is allet jut“, sagt sie, und sie hört sich an, als würde sie diesem Satz ein genervtes Stöhnen unterlegen. „Hier: Karajan! Und hier, da singt die Nilsson, wat soll ick dazu sagen. Is halt die Nilsson!“

Ich hatte vor einer Weile einen Artikel über die Sopranistin Birgit Nilsson gelesen. Darin stand, dass sie eine ganze Weile massenweise Fanpost erhielt, die an das Model Brigitte Nielsen gerichtet war. Das ist ungefähr mein Wissen über Opernmusik.

„Und hier: Solti!“, sagt die Frau. „Solti“, sage ich. „Ja, allet jute Aufnahmen!“ Ich frage die Frau, welche die tatsächlich beste der vielen guten Einspielungen sei. Sie greift, ohne zu zögern, in das Regal und hält mir eine CD viel zu nah vor mein Gesicht. „Sinopoli mit Cheryl Studer“, sagt sie, als wäre jetzt alles klar.

„Aha“, sage ich.

„Deutsche Oper! Da waren wir alle inner Deutschen Oper. Da war keiner mehr zu Hause!“ – „Alle?“, frage ich. „Ja“, sagt sie. „Könnse mir glauben. Westberlin war ­sozusagen leer.“

Björn Kuhligk

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