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berliner szenenDen Witz kapier ich nicht

Unterwegs stelle ich mich an einer Süßigkeitenbude beim Alex an, um gebrannte Mandeln zu kaufen.

„Ich nehm die gleich so“, sagt die Frau vor mir. Sie ist um die 20, trägt eine Mütze, unter der lange blonde Haare hervorlugen. Der Verkäufer hat einen grauen Schnauzer und reicht ihr kandierte Weintrauben am Stil. Während sie auf ihr Wechselgeld wartet, beißt sie ab. Der Mann sieht ihr zu, gibt das Geld heraus und sagt anzüglich: „Da weiß man als Mann doch gleich, was man bekommt.“

Sie steht mit den Trauben da und schaut ihn an. Irgendwo spielt blechern „Jingle Bells“. „Bitte, was.“ Es ist tonlos und weniger Frage als Bemerkung. „Nix für ungut. War’n Witz.“ Er lacht, als wollte er seinen Witz verifizieren. Es klappt nicht. Sie starrt ihn an: „Kapier ich nicht.“

„Na ein Witz, haste keinen Humor?“ – „Doch. Aber dazu muss ich den Witz kapieren.“ – „Na“, er guckt auf die Weintrauben, dann auf ihren Mund. Sie lässt ihn nicht aus dem Blick. Seiner flackert jetzt. „Alles gut.“ – „Das weiß ich ja noch nicht.“ – „Was“, will er wissen. – „Na, das weiß ich erst, wenn ich den Witz verstanden hab.“ – „Komm schon“, sagt der Schnauzer, „stell dich nicht doof.“

Sie dreht sich zu mir, ihre Augen sind starr vor Wut: „Kapierst du das?“ Ich schüttele den Kopf: „Nee, auch nicht.“ – „Was ist jetzt schlimm daran, uns den Witz zu erklären?“, fragt sie. Da wird er wütend. „Haut ab hier. Aber ganz schnell. Alle beide.“ Im Umdrehen sagt sie ruhig, aber laut: „Blödes Arschloch.“ Während er uns beschimpft, gehen wir und ignorieren die Blicke der Leute. – „Danke für die Hilfe“, sagt sie zu mir. – „Gern, hab ja gar nichts gemacht.“

Wir verabschieden uns. Ich sehe noch, wie die Weintrauben in einem Mülleimer landen, dann verschwindet sie zwischen den Passanten. Und ich denke, dass ich eben echt etwas gelernt habe.

Isobel Markus

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