berliner szenen: Gästeblock, letzte Reihe
Ich treffe P. in einer Pizzeria am Kurfürstendamm. Er wohnt dort um die Ecke und ist der größte Hertha-Fan, den ich kenne. Er leidet und flucht und freut sich. Wir reden über den Rechtsruck, der kein Ruck ist, sondern Zustand. Der Besitzer der Pizzeria kommt, P. stellt mich vor, und der Mann will wissen, wo ich wohne. „Kreuzberg“. Er winkt ab und sagt, da sei er das letzte Mal vor ein paar Jahren gewesen, zu weit weg, zu aufwendig, da hinzukommen, und was solle er da überhaupt. Er sagt: „Du wohnst da eben.“
Nachdem wir bestellt haben, sage ich P., er sei eingeladen. Er hat über Kontakte zu seinem Verein eingefädelt, dass O., der größte aller kleinen Werder-Bremen-Fans, als Einlaufkind an der Hand eines Werder-Spielers in das Olympiastadion einlaufen durfte. Wir hatten uns Karten organisiert und standen ganz oben in der allerletzten Reihe des Gästeblocks und feuerten erst O. und dann Werder an. C. ist Fan, seit ich sie kenne und noch viel länger schon. Anfangs foppte ich sie hin und wieder damit. Doch als der Verein kurz vorm Abstieg war und sich wieder hochrappelte und in der nächsten Saison oben mitspielte, wurde auch ich Fan. In der Küche steht eine Werder-Bremen-Eieruhr und sie spielt die Hymne, wenn die Eier fertig sind.
Am Morgen nach dem Spiel stand ich neben der Uhr, noch immer euphorisiert, und brüllte schon wieder mit ausgestreckten Armen lauthals „Pizarro“. Er hatte in der letzten Minute den Ausgleich gemacht. Wir bestellen und kommen zurück auf die Lage der Nation. P. sagt, er habe hier vor der Europawahl gesessen und auf eine mit AfD-Werbung beklebte Holzwand blicken müssen. Irgendwann habe er die Faxen dicke gehabt, sei nach Hause gelaufen, mit einer Säge zurückgekommen und hätte das Ding gefällt. Als wir uns ein paar Stunden später verabschieden, sagt er: „Bleib sauber!“ Björn Kuhligk
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