berliner szenen: Alter, so redet kein Mensch
Zwei junge Typen, deren Oberarme den Durchmesser von Kasten-Vollkornbroten haben, stehen mir gegenüber an einem der Stehtische von Konnopke, der Currywurstbude am U-Bahnhof Eberswalder Straße. Der eine hat eine Platte vor sich, darauf zwei Portionen Pommes und zwei Curry mit Darm, klare Sache. Der andere eine Pappschale, auf der zwei Curry ohne Darm und zwei Brötchen liegen. „Was hast du? Was ist mit dir?“, fragt der eine und zeigt auf die Pappschale. „Ich mache Diät“, sagt der andere.
Dann reden sie eine Weile auf Türkisch, immer wieder streuen sie Sätze auf Deutsch in ihren Redefluss. Es geht um einen jungen Mann, der irgendetwas nicht machte, wovon der andere annahm, dass er es ganz sicher machen würde, weil alles andere zu seinem eigenen Schaden und völliger Schwachsinn gewesen wäre. „Hör mir mal zu“, sagt der eine Typ. „Nein“, sagt der andere, „nein, du hörst mir jetzt zu, dann kommt wieder etwas auf Türkisch, was sein Nebenmann mit einer Handbewegung abwertet. „Der junge Mann, verstehst du, irgendwas ist bei dem im Kopf nicht richtig.“ Der andere hält inne, das aufgepiekte Stück Wurst zehn Zentimeter vor seinem Mund, lässt es sinken, und richtet seinen Oberkörper auf. „Alter, wie redest du?“ – „Warum?“, fragt der andere. „Du hast gesagt: Irgendwas ist im Kopf nicht richtig.“ Der andere sieht ihn erstaunt an. „Ja, wo ist das Problem, hä? Wo ist das Problem?“ – „Alter, so redet kein Mensch! Wirklich niemand!“ Der andere zuckt mit den Schultern, sagt „Ich rede so!“ und trinkt seine Cola in einem Zug aus.
Dann rülpst er sehr laut und anhaltend, sodass sich innerhalb der Lautstärkekurve des Rülpsers zwei Ausschläge von garantiert 80 Dezibel messen lassen. „Alter! Cola und du!“ Der andere lacht und sagt: „Ich rülpse nicht. Die Cola rülpst mich.“ Björn Kuhligk
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