berliner szenen: Mit Rot gegen Lauwarmes
Leidenschaftslose Begegnungen, lauwarme Beziehungen, weder Nein noch Ja. Darüber rede ich mit einer Freundin am Telefon. Es ist Sonntagnachmittag, und ich spaziere über den Flohmarkt am Boddinplatz, der zweimal im Jahr stattfindet und schön ist, um Nachbar*innen zu treffen.
Während ich der Freundin erkläre, wie genervt ich von halben Sachen und zu viel Vernunft bin, sehe ich die Boxhandschuhe. Ich bitte sie kurz zu warten und frage nach dem Preis. 30 Euro sind mir aber zu viel. „Wir haben sie für 80 gekauft und nur dreimal getragen“, zuckt die Verkäuferin mit den Schultern. Meine Freundin, die am Ende der Leitung mitgehört hat, fragt mich nach der Farbe. „Rot! Du musst sie kaufen“, sagt sie. Das sei symbolisch, um für die Leidenschaft zu kämpfen. „Außerdem, du brauchst eigene Handschuhe, wenn du weiter kickboxen willst“, sagt sie, und das stimmt. Ich bin Anfängerin, aber irgendwann kann ich nicht mehr alles nur vom Verein leihen.
Ich kaufe die Handschuhe und bin meiner Freundin dankbar, dass sie mich überzeugt hat. Sie bittet mich, ein Foto zu machen, das wir uns schicken können, um uns zu erinnern, dass wir die Leidenschaft nie aufgeben sollten. Ich suche einen passenden Hintergrund und finde ein Plakat, das Herzluftballons zeigt, die aus einer menschlichen Brust rausfliegen.
Ich frage eine Frau, die gerade vor ihrer Tür raucht, ob sie ein Foto von mir machen kann. Sie guckt mich neugierig an, als ich die Handschuhe anziehe, und nach dem Fotoshooting erzähle ich ihr die Geschichte. Wir unterhalten uns, und sie sagt, dass sie früher auch geboxt habe, doch jetzt brauche sie es nicht mehr. Ich bin begeistert und setze mich, um weiter zuzuhören. Doch die Frau öffnet die Tür und sagt, dass sie wieder an den Schreibtisch müsse. „Steuererklärung“, sagt sie. Ich nicke.
Luciana Ferrando
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