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berliner szenenMusizieren im Waggon verboten

Mittwoch nach Mitternacht am Rosenthaler Platz. Bevor die letzte Bahn einfährt, spielt ein älterer schwarzer Musiker gekonnt auf dem Saxofon, Touristen tummeln sich hektisch am Gleis, der Verkehr der Linie U8 pendelt dieser Tage. Als die letzte Bahn am Gleis hält, steigt auch der Saxofonspieler in den vordersten Waggon. Kaum erklingt der erste Ton aus seinem Instrument, legt die Bahn eine Vollbremsung ein. Stopp, Stillstand. Vorne geht die Tür der Fahrerkabine ins Innere des Wagens auf. Der Zugführer, der heraustritt, wirkt komplett geladen, als er sich mit wirrem Haar vor dem Musiker mit Saxofon aufbaut und brüllt: „Raaaaaaaus hiiiiiier!“ Totenstille. „Musizieren im Waggon ist verbooooten!“, setzt er noch nach. Die Leute im Waggon wirken empört über den Ton des Zugführers, der sich gar nicht mehr einzukriegen scheint. Er droht mit der Polizei, wenn der Saxofonspieler nicht auf der Stelle die Bahn verlässt. Musizieren im Waggon sei nämlich verboten, wiederholt er.

Plötzlich ergreift eine junge asiatische Frau das Wort: „Kennen Sie ihn?“, fragt sie mit ruhiger Stimme den Zugführer, der sich durch sein wirres Haar streicht und entnervt antwortet: „Kennen Sie ihn denn?“ Stille. Dann wieder der Zugführer, schreiend: „Seit drei Jahren muss ich mir das geben! Seit drei Jahren! Seit drei Jahren kenn ich den, und jedes Mal der gleiche Scheiß!“ Als die asiatische Frau darauf nichts mehr sagt, als überhaupt niemand etwas sagt, außer den Blicken der Fahrgäste, die feindselig auf den Zugführer gerichtet sind, winkt dieser ab, macht die Tür seiner Fahrerkabine auf, macht sie hinter sich wieder zu und fährt weiter. Der ältere schwarze Musiker blickt zu den Fahrgästen, denen es die Sprache verschlagen hat, und sagt: „Look, what I have to deal with, just when I’m playing music.“

Eva Müller-Foell

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