berliner szenen: Der Barde und die Bussifragen
Treptower Park, Spreeufer, Sonne und ein freier Tag. Das Leben ist gut heute. J. verspätet sich, aber hier lässt es sich warten. Einsam treibt eine Ente zu meinen Füßen, rechts neben mir sitzt ein mitteljunger Mann mit langen Locken. Mit nacktem Oberkörper und John-Lennon-Sonnenbrille schrammelt er auf seiner Gitarre und singt dazu selbstgereimte Kifferlieder. Immer wieder kommt der Treptower Park und seine aktuelle Situation vor, singend in der Sonne sitzen, tiefe Gedanken haben, ist klar. Dazwischen gibt er leicht abgewandelt Götz Widmanns Lied „Simone de Beauvoir“ zum Besten. Aber wie ging nochmal der Satz mit Woody Allen? Nach ein paar Versuchen wechselt er ins Englische, die Reime „mag, Tag, lag, sag“ sind ausgereizt.
Zwischen seinem angestrengt knurrenden Gesang muss er immer wieder lachen. Vielleicht findet er seine Texte lustig, vielleicht auch, wie ich, die gänzliche Erfüllung jedes Klischees. Er spielt für kein Publikum und auch ich mache jetzt die Augen zu. Meine Aufmerksamkeit wandert zum Gespräch meiner SitznachbarInnen auf der linken Seite. „Ich finde es immer richtig schwierig, wie ich Leute begrüßen soll. Küsschen auf die Wangen in der einen Gruppe, Umarmung in der anderen und im Sommer finde ich eigentlich alles davon ekelig“, sagt Stimme 1. „Ja, so schön verschwitzt“ – Stimme 2 macht Kussgeräusche – „und kennst du diese peinliche Situation, wenn man sich für die falsche Begrüßung entscheidet und während der Umarmung merkt: Mhm, nee. Das war’s nicht?“ Die beiden lachen, für mich haben sie gegen den Kiffsinger-Songwriter gewonnen. In diesem Gespräch finde ich mich wieder, hier kann ich vielleicht noch was lernen. In der Hosentasche vibriert es. J. ist angekommen und will durch den Park schlendern. Zeit für eine eigene Unterhaltung.
Linda Gerner
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen