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berliner szenenWie ein Manneken Pis

Feierabend: Oft möchte ich nicht nach Hause gehen. Ich habe Hunger, ich kann mich aber nicht entscheiden, was ich essen möchte. Kein Platz auf den Terrassen oder zu leer, das Lokal kommt mir zu spießig oder suspekt vor. Ich ziehe weiter und die Zeit vergeht. Ich gebe mir die Schuld dafür, denn auch wenn ich es mir vornehme, besser planen zu lernen, vertraue ich doch am Ende darauf, dass sich schon etwas spontan er­geben wird.

Nicht selten hänge ich dann alleine rum in Kreuzberg oder Neukölln, esse irgendwas, trinke ein Feierabendbier oder rauche eine Zigarette auf einer Parkbank. Manchmal aber treffe ich jemanden zufällig, eine von meinen Freund*innen meldet sich zurück und schließt sich mir an oder ich werde von wildfremden Leuten angesprochen und unterhalte mich mit ihnen.

Eines Abends sitze ich schlecht gelaunt am Bethaniendamm, als eine Frau mit langen grauen Haaren mich fragt, ob ich einen Blick auf ihre menschengroße Tasche werfen kann. „Ich muss dringend“, sagt sie und verschwindet ins Gebüsch. Ihre Schritte erinnern mich an die einer Ballerina. Dann erzählt sie mir, dass sie immer früher aufzustehen versucht, weil die Tage immer kürzer werden und sie nichts verpassen möchte. Es würde ihr aber nicht so gut gelingen: sie könne nur spät einschlafen – sagt sie, während sie Kupfermünzen zählt –, denn die Nacht sei auch voller Erlebnisse. Ich sage ihr, dass ich sie verstehen kann.

Als Nächstes füllt sie ihre Wasserflasche am Trinkbrunnen und fängt plötzlich an, laut zu lachen. „Ich hatte eine Vision“, sagt sie zu mir. „Ich habe mir vorgestellt, dass es da drin einen kleinen Engel gibt, der in meine Flasche pinkelt, wie ein Manneken Pis“, sagt sie. Ob sie mit mir geredet hätte, wenn ich nicht alleine gewesen wäre, frage ich mich und lache gerne mit. Luciana Ferrando

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